Die Gamant-Chroniken 01 - Das Licht von Kayan
der Menschen gefesselt hatte. Doch als sie sich im Tempel umsah, erkannte sie, daß ihm dies bereits gelungen war. Niemand rührte sich, und die Gesichter der Andächtigen drückten tiefe Verehrung aus.
»Gläubige«, sagte Adom sanft, »niemand kann die ehrfurchtgebietende Schönheit eurer Arbeit bestreiten. Dieser Tempel wird Millennien überdauern als Licht für heidnische Völker. Der erste Tempel des Großen und Glorreichen Milcom.«
»Wir flehen dich an, o Ewiger, errette uns.«
»Wir haben versprochen, eine Heimstatt für dich zu finden, o Mächtiger von Sinlayzan. Und wir haben sie in den Wüsten von Horeb erbaut. Hier soll der Quell deiner Wahrheit entspringen. Hier werden wir mit dem Kampf beginnen, der deine Feinde vom Antlitz des Universums reißen wird, auf daß Rechtschaffenheit und Furcht in die Herzen aller menschlichen Wesen Einzug halten können.«
Furcht. Rachels Magen hob sich, als die Erinnerungen der letzten Wochen auf sie einstürmten. Ihre fieberglühenden Augen richteten sich auf Adom, und Haß erfüllte ihr Inneres. Für einen kurzen Moment traf sein Blick den ihren, und sie erschauerte. Was war an ihm, das ihre Seele mit Sehnsucht erfüllte? Eine magnetische Aura von Vertrauen und Unschuld umgab ihn. Selbst sie … selbst Rachel Eloel … spürte das.
»Mein geliebtes Volk«, sagte Adom. Schmerz färbte seine Stimme. »Die letzten Tage sind für uns alle schwer gewesen. Es gibt einige Schafe in der Herde, die alles zu zerstören trachten, was wir aufgebaut haben.«
Ein feindseliges Murmeln durchlief den Tempel.
Adom schaute flehentlich auf, seine Lippen zitterten. »Ich habe tagelang ohne Unterlaß gebetet, daß die Rebellen zu mir kommen, doch …«
»Versuch gar nicht erst, mit den schmutzigen Dämonenanbetern zu reden!« rief jemand.
Adom schloß für einen Moment die Augen. »Ich will nur den Haß beenden.« Er senkte die Stimme zu einem Flüstern. »Sagt mir wie? Sagt es mir, mein Volk.«
Dann, als hätte Gott selbst ihm geantwortet, wandte er ruckartig den Kopf und schaute Rachel direkt an. Tränen füllten seine Augen. »Sag mir, warum?« wiederholte er, doch diesmal galt seine Frage einzig ihr allein.
Ein Adrenalinstoß raste wie Feuer durch Rachels Adern. Lieber Gott, er weiß Bescheid!
Sie packte Sybils Kragen und zog sie an der Wand entlang, während sie sich zum Ausgang vorarbeitete und die Männer aus dem Weg drängte.
Überall im Tempel antworteten die Menschen auf Adoms Frage. »Sperr die Abtrünnigen ein! Bestrafe sie! Töte sie! Töte sie … töte sie … töte sie …! «
Rachel stieß gegen einen dicken Mann, der nicht aus dem Weg gehen wollte. Er schüttelte die Faust und rief: »Gib sie uns. Wir kümmern uns schon um sie!«
Rachel versuchte, sich an dem Mann vorbeizuschieben, und er hielt mit seinem Geschrei inne und starrte sie an. »Warum so eilig?« fragte er. »Die Zeremonie ist noch nicht vorbei.«
»Meinem kleinen Mädchen ist übel«, flüsterte Rachel flehend. »Sie muß an die frische Luft, bevor sie …«
»Für meinen Geschmack sieht sie nicht krank aus.« Er blickte Sybil stirnrunzelnd an. »Ist dir schlecht, Kind?«
»Ja, Herr.«
»Ich glaube, du tust nur so. Ihr Kinder seid doch alle gleich. Ihr seid ein bißchen müde von Stehen und wollt nach Hause. Aber zu deinem eigenen Besten mußt du den Mashiah anhören. Verstanden, Mädchen?«
»Gehen Sie aus dem Weg!« befahl Rachel und schlug mit der Faust gegen seine Brust. »Ich habe Sie nicht um Ihren Rat gebeten, wie ich mein Kind erziehen soll!«
»Irgend jemand muß das ja mal tun!«
»Gehen Sie aus dem Weg, bevor ich …«
Die erste Explosion erschütterte den Tempel und ein Grollen, als würde der Boden aufreißen, schüttelte sie durch. Die Glaskuppel zerbarst, Splitter stiegen hoch in den schieferblauen Himmel empor, wo sie für einen Moment wie Sterne schwebten, bevor sie wieder herabstürzten.
Angstgebrüll erfüllte den Tempel. Und die Menschen rannten.
»Panik, Mommy!« schrie Sybil. »Komm, mach schnell!«
Rachel packte die Hand ihrer Tochter und versuchte, sich durch die heranstürmende Menge verängstigter Menschen in Richtung Tür zu drängen. Doch sie wurde zurückgestoßen und gegen die Wand gedrückt, wo sie zu Boden stürzte.
»Mom!« schluchzte Sybil, als die zweite Explosion die gegenüberliegende Wand zerstörte. Sie brach in sich zusammen und begrub Menschen und Gestühl unter ihrem Gewicht. Schmerzensschreie hallten durch das wankende Gebäude.
Rachel zog
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