Die Gamnma Option
dann? Abgesehen von Henri Dejourner gab es niemanden. Blaine hatte noch nie einer Verpflichtung den Rücken zugekehrt und wollte auch jetzt nicht damit anfangen. Der Junge war stark und tapfer und gutaussehend, doch unter diesen Umständen mochte die Zeit vielleicht gegen ihn arbeiten. Er hatte noch nie ein Weihnachtsfest oder einen Geburtstag allein verbracht. Blaine schon, und es war niemals leicht.
»Ich wünschte, ich könnte um dich weinen, Lauren«, sagte er über dem Grab. »Es tut mir leid, daß wir so wenig Zeit miteinander verbracht haben. Doch ich werde unseren Sohn nicht im Stich lassen. Darauf hast du mein Wort.«
4
»Sie haben meine Mutter also in England kennengelernt?« fragte Matt, als sie am nächsten Morgen im Schnellzug von Reading nach London saßen.
McCracken nickte. »Ich war ziemlich lange hier, fast ein Jahr.«
»Geschäftlich?«
»Gewissermaßen.«
Der Junge zögerte, bevor er fortfuhr. »Hat es etwas damit zu tun, daß Sie Soldat sind?«
Die Frage überraschte Blaine völlig, und sein Gesicht verriet es auch. »Wie kommst du denn darauf?«
»Wie Sie sich bewegen. Wie Sie die Leute mustern. Ich habe viel über Soldaten gelesen.«
»Ja«, erwiderte Blaine. »Ich war in der Army.«
»Waren Sie im Krieg?«
Noch ein Nicken. »Vietnam.«
Der Junge wirkte ehrlich beeindruckt. »Wirklich? Als was, Sir? Bitte erzählen Sie mir darüber!«
»Nur, wenn du versprichst, mich Blaine zu nennen. Die Geschichte wird etwas kompliziert.«
»Ich werde sie schon verstehen. Zumindest will ich es versuchen.«
Blaine wollte nicht lügen, konnte dem Jungen aber auch noch nicht die Wahrheit sagen, zumindest nicht die ganze Wahrheit. »Ich wurde zum Green Beret ausgebildet.«
Matts Mund klaffte auf. »Die Eliteeinheit!«
»So nannte man uns damals zwar nicht, aber es stimmt schon.«
»Sie ging unserem Special Air Service voraus. Die Green Berets waren die erste besonders ausgebildete Einheit im westlichen Bündnis seit dem Zweiten Weltkrieg.«
»Der blieb mir glücklicherweise erspart«, sagte Blaine.
Matt ließ ein Lächeln aufblitzen, das schnell wieder zu einem fragenden Blick schmolz. »Sie haben gesagt, die Geschichte sei kompliziert.«
»Nun ja …«
»Sie wollten sie mir erzählen.«
Ach, zum Teufel, was soll's, dachte Blaine. »Kannst du ein Geheimnis für dich behalten?«
»Ja. Natürlich.«
»Na schön. Vietnam war ein seltsamer Krieg, weil jede Menge Leute verschiedene Teile davon führten. Ein Teil der Army mit gewissen Vollmachten tat sich mit der CIA zusammen und entschloß sich, einen Teil des Kriegs auf eigene Art und Weise zu führen. Ich wirkte am sogenannten Projekt Phoenix mit. Wir erledigten den größten Teil unserer Arbeit hinter den feindlichen Linien und erstatteten niemals Bericht. Verstehst du?«
»Mann«, sagte Matt. »Aber was haben Sie …«
Blaine unterbrach ihn. »Das erzähle ich dir später einmal, Matt.« Als er die Enttäuschung des Jungen spürte, fügte er hinzu: »Ich habe übrigens noch ein paar Freunde in der SAS. Willst du mal mitkommen und sie bei der Ausbildung beobachten?«
»Die Abteilung ist top secret, Sir. Besucher sind nicht gestattet.«
»Du hast gute Verbindungen, Junge.«
»Wirklich, Si … Blaine? Wäre das möglich?«
»Sag mir nur, wann.«
»Das fände ich prima. Echt.« Erneut legte sich ein fragender Ausdruck auf sein Gesicht. »Aber was genau haben Sie hier in London getan?«
»Das zeige ich dir, wenn wir dort sind.«
Gegen Mittag waren sie am Parliament Square. Blaine hatte nie vorgehabt, dem Jungen solch einen detaillierten Einblick in seine Vergangenheit zu geben, geschweige denn, ihm von diesem berüchtigten Zwischenfall zu berichten. Aber verdammt noch mal, er hatte einmal damit angefangen, und die Bewunderung und das Interesse des Jungen führten dazu, daß er sich Themen zuwandte, die er seit Jahren nicht mehr berührt hatte. Und hatte Matt nicht ein Recht, davon zu erfahren, wenn es überhaupt jemand hatte?
»Was ist denn so wichtig an Churchills Statue?« fragte der Junge, als sie sich direkt vor ihr befanden.
»Ich wette, du hast nicht gewußt, daß sie einen Teil davon ausbessern mußten.«
»Nein, hab' ich nicht. Ist das wichtig?«
»Eigentlich nicht. Bis auf den Grund.«
»Der Grund?«
Sie traten noch näher heran.
»Fällt dir auf, daß sein Mantel genau dort, wo er über den Bauch fällt, leicht anders gefärbt ist?«
»Ja, schon. Warum?«
»Sie mußten die Statue reparieren, nachdem ich ihr einen
Weitere Kostenlose Bücher