Die Gamnma Option
Damals war ich als Experte für die Regierung tätig. Seitdem haben sich die Dinge gar nicht so sehr geändert.«
Neville nickte. »Damit habe ich gerechnet. Oder mit etwas ähnlichem. Es sind Ihre Augen. Ich habe einige Männer wie Sie gekannt.«
Blaine schüttelte den Kopf. »Sie haben niemals einen Mann wie mich gekannt, John. Das ist unmöglich, glauben Sie mir. Im Augenblick versuche ich, mit Gefühlen klarzukommen, die ich noch niemals empfunden habe. Heute war ein ganz besonderer Tag für mich, auf eine Art, die ich Ihnen nicht beschreiben kann, und ich verspüre die Versuchung, diesen Tag als Zeichen zu sehen, daß mein Leben in eine neue Phase eingetreten ist. Aber das Problem dabei ist, daß ich eine Menge Feinde habe. Ich will damit sagen, daß ich Matt vielleicht in Gefahr bringe, falls ich mich entschließe, endgültig in sein Leben zu treten. Nein, korrigieren Sie das. Er ist bereits in Gefahr, und zwar seit dem Tag, da Henri Dejourner Ihnen einen Besuch abgestattet hat. Welche Entscheidung ich auch treffe …«
Neville unterbrach ihn. »Er ist in guten Händen.« Er streichelte Bodies Kopf.
»Sie müssen auf ihn aufpassen, John. Sie müssen besonders vorsichtig sein.«
»Das verspreche ich Ihnen.«
Blaine konnte nicht schlafen. Seine Gedanken hämmerten auf ihn ein, und er schien sie einfach nicht vertreiben zu können.
Er machte sich Sorgen. Er hatte Angst.
Er wußte, wie zerbrechlich das Leben war. Er hatte mit eigenen Augen gesehen, wie schnell es ausgelöscht werden konnte, und war selbst oft genug in Lebensgefahr geraten, um sich nicht mehr daran zu stören. Es war sinnlos, sich darüber Gedanken zu machen, denn wenn dieser Augenblick kam, konnte nicht einmal er ihn verhindern. Doch nun nahm die Zerbrechlichkeit des Lebens eine neue Bedeutung an. Der Brennpunkt seines Daseins war in Aufruhr geraten. Was war er dem Jungen schuldig? Und was war er sich selbst schuldig? Er war vierzig Jahre alt und hatte diesen Meilenstein mit einer entmutigenden Erkenntnis gefeiert. Die Ereignisse, in die er in letzter Zeit hineingeraten war, hatten sich alle zufällig und zusammenhanglos ergeben, ganz im Gegensatz zu denen während seiner Dienstzeit in Vietnam und danach.
Und danach …
Und danach …
Das Telefon auf dem Nachttisch klingelte, rüttelte ihn auf, und Blaine tastete in der Dunkelheit danach.
»Ja?«
»Ist dort Mr. Blaine McCracken?«
»Allerdings.«
»Hier spricht Chief Inspector Alvin Willie von der Reading Police, Sir. In der Reading School hat es einen Zwischenfall gegeben. Sie sollten besser sofort herkommen.«
5
Chief Inspector Alvin Willie war ein wohlbeleibter Mann mit einem großen kahlen Kopf und so gut wie keinem Hals. Er trug Zivilkleidung, und sein Hemd steckte nur zum Teil in der Hose. Er zeigte McCracken die Splitter, wo die Eingangstür der Wohnung von Direktor John Neville eingetreten worden war.
»Ziemlich amateuerhaft, würde ich sagen«, meinte der Inspector.
»Nein«, entgegnete Blaine, noch immer schlaftrunken. »Der Täter wollte Aufmerksamkeit erregen. Er wollte Mr. Neville hierher locken.«
»Klingt töricht.«
»Keineswegs. Wo ist die Leiche?«
»Hier entlang«, sagte Chief Willie und ging durch den Korridor voraus.
Zuerst kamen sie an den teilweise bedeckten Kadavern von Bodie und Doyle vorbei. Unter ihren geöffneten Mäulern hatten sich Blutpfützen gebildet, und an den Winkeln, in denen ihre Köpfe abstanden, erkannte Blaine, daß man den armen Tieren das Genick gebrochen hatte. Im Wohnzimmer wollte gerade ein uniformierter Beamter Nevilles Leiche mit einem Laken bedecken; ein Blick von Willie ließ ihn innehalten. Kopf und Schultern der Leiche lehnten an einer Wand. Das Gesicht war in furchtbarem Schmerz erstarrt, der Kopf unmöglich weit zur Seite gedreht; offenbar hatte man ihm ebenfalls das Genick gebrochen. Aber an seiner Haltung wirkte etwas unnatürlich. Neville war nicht dort gestorben; man hatte ihn dorthin geschleppt und aufgesetzt, als solle er nach dem Tode noch etwas beobachten.
Blaine erschauderte angesichts der Kraft, die nötig war, um den muskulösen Neville und seine beiden Hunde auf diese Art zu erledigen. Jemand wollte von vornherein etwas klarstellen, jemand, der Spaß an seiner Arbeit hatte. Und diese Mitteilung konnte nur für ihn bestimmt sein. Aber was war in diesem Zimmer vorgegangen, nachdem Neville gestorben war?
»Die Tat ist vor anderthalb bis zwei Stunden geschehen«, erklärte Chief Willie. Er transpirierte
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