Die Gang: Roman (German Edition)
Aber er wusste auch, dass sie sich irgendwann küssen würden. Es war beinahe sicher. Sie hatten sich beinahe geküsst, letzte Nacht. Jetzt war noch viel mehr zwischen ihnen. Sehr viel mehr.
»Ich wünschte, es wären nicht all diese Leute um uns herum«, sagte Shiner.
»Ja«, sagte Jeremy. »Ich auch.«
»Warum?«, fragte Shiner.
Er lächelte. »He, das ist nicht fair. Du hast gesagt, du wünschtest, wir wären allein.«
»Aber du hast mir zugestimmt.«
»Ja, klar.«
»Was würdest du tun, wenn wir allein wären?«
»Was würdest du tun?«
Shiner streckte die Hand aus und streichelte über seine Wange. »Ich denke, ich würde dich küssen«, sagte sie. »Hast du auch daran gedacht?«
»Ja.«
Sie legte sich auf den Bauch, stützte sich auf die Ellbogen und sah ihn wieder an. »Aber nicht, wenn diese ganzen Leute hier um uns herum sind. Deshalb wünschte ich, dass wir allein wären. Es soll ganz privat sein, verstehst du? Meinst du nicht auch?«
»Ja.«
»Ich finde es widerwärtig, wenn sich Leute am Strand so demonstrativ küssen. Es beweist nur, dass sie keinerlei Selbstkontrolle haben.«
»Oder Selbstachtung«, fügte Jeremy hinzu und starrte auf Shiners Rücken.
Der war nackt, bis auf zwei Träger, die sich über ihren Schulterblättern kreuzten, und einem Dreieck glänzenden schwarzen Stoffs, das unterhalb der Taille anfing und aussah, als würde es an ihren Pobacken kleben.
Ob sie ihn wohl bitten würde, ihren Rücken mit Sonnenöl einzureiben?
»Woher kommst du.«
»Aus Bakersfield.«
»Hattest du eine Freundin?«
»Nein, eigentlich nicht.«
»Was heißt das, eigentlich nicht?«
»Es gab niemanden, mit dem ich ausgegangen bin. Nur ein paar Mädchen in der Schule, die ganz in Ordnung waren.«
»In meiner Schule gibt es überhaupt keine Jungen.«
»Tatsächlich?«
»Ich gehe nach St. Annes. Eine Mädchenschule.«
»Also hattest du noch keine Freunde?«
Sie lächelte und zuckte leicht mit einer Schulter. »Ich hatte einige. Aber niemanden, den ich wirklich gemocht hätte. Und ich habe sie nicht oft gesehen, weil meine Mutter so merkwürdig ist. Sie schlägt sie alle in die Flucht.«
»Hört sich ganz nach meiner Mutter an.«
Shiner legte sich wieder auf den Rücken und verschränkte die Hände hinter dem Kopf.
Jetzt habe ich meine Chance verpasst, ihr den Rücken einzureiben, dachte Jeremy.
»Sie sind so beschützerisch«, sagte sie, das eine Auge gegen die Sonne geschlossen, das andere blinzelnd auf ihn gerichtet.
»Ja, das stimmt wirklich. Ich bin scharf verhört worden, als ich Mom erzählte, dass ich mich hier mit einem Mädchen treffe.«
»Du hättest es vielleicht besser nicht erzählt.«
»Ich weiß. Was für ein Theater! Und jetzt will sie dich kennenlernen.«
»Tatsächlich, will sie das? Hat sie Angst, dass ich dich verderbe?«
»Ja.«
Shiner hob eine Hand, schirmte ihre Augen gegen die Sonne ab und starrte Jeremy an. »Vielleicht hat sie recht.«
»Das hoffe ich doch.«
Sie lachte. »Wenn du verdorben werden willst, bist du mit einer anderen besser dran. Zum Beispiel mit Heather.«
»Bloß das nicht!«
Sie nahm die Hand wieder herunter und schloss die Augen. Ihr Ellbogen lag nahe an Jeremys Auge. Die Unterseite ihres Armes war, obwohl sie sie jetzt nach oben drehte, fast überhaupt nicht braun. Ihre Achselhöhle sah glatt und weiß und weich aus.
»Ich werde deine Mutter kennenlernen, wenn du willst«, sagte sie und hielt die Augen geschlossen.
»Das musst du aber nicht.«
»Nein, das ist schon in Ordnung. Wenn die Dinge dadurch für dich einfach werden.«
»Okay. Ich werde auch mit zu deiner gehen.«
»Am Sankt-Nimmerleins-Tag. Vergiss meine Mutter. Ich hätte dich zum letzten Mal gesehen.«
»Sie kann doch nicht so schlimm sein?«
»Glaub mir einfach. Wie wäre es mit heute Abend?«
»He, du musst wirklich nicht …«
»Wir treffen uns um acht bei Tanya zu Hause. Du bist auch eingeladen.«
»Machst du Witze?«
»Heute ist ihr freier Tag. Sie hat mich gebeten, es dir zu sagen. Wir werden alle dort erwartet. Nur für Trolljäger.«
»So was wie eine Versammlung?«
»Ich weiß nicht. Es ist das erste Mal. Es muss etwas damit zu tun haben, was letzte Nacht passiert ist.«
»Mann!«
»Könnte interessant sein, oder?«
»Ja, nehme ich an.«
»Jedenfalls werde ich hinüberfahren, und dann kann ich dich ja mitnehmen. So lerne ich deine Mutter kennen, wenn ich dich abholen komme. Das wird sie beruhigen.«
»Das wäre toll!«
»Glaubst du, dass sie
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