Die Gang: Roman (German Edition)
habe.
Sie ärgerte sich über sich selbst, weil sie so erschrocken war und sich in ihrer Nacktheit so verwundbar fühlte, und hatte keine Lust, wieder in die verschwitzten Kleider zu steigen.
Bleib einfach hier, und wer immer es ist, wird wieder gehen.
Es klingelte erneut.
Debbie?, fragte sie sich: Vielleicht hatte sie Probleme mit dem Auto, oder … Brillant, Sherlock. Sie hat einen Hausschlüssel.
Vielleicht ist es Dave, und er ist deshalb nicht ans Telefon gegangen, weil er auf dem Weg hierher war. Oder es ist ein verflixter Vertreter oder Zeuge Jehovas. Und wenn es Dave ist …
Sie hastete zur Badezimmertür, sprang in die Hosen des Trainingsanzugs (die genauso feucht und klamm waren, wie sie befürchtet hatte), nahm das Sweatshirt vom Türknauf und zog es sich über den Kopf, während sie zur Haustür eilte.
Sie blickte durchs Guckloch.
Harold.
Mist!
Einen Moment lang überlegte sie, ob sie so tun sollte, als wäre sie nicht zu Hause. Aber sie war nicht gerade auf Zehenspitzen zur Haustür gelaufen. Es wäre schrecklich grausam, nicht zu öffnen, wo Harold doch wusste, dass sie zu Hause war.
Ich hätte weitermachen und duschen sollen.
Sie öffnete die Tür und zwang sich zu einem Lächeln. Er schaute ihr ganz kurz ins Gesicht, bevor er den Blick wieder auf typische Harold-Art senkte. »Es tut mir leid«, sagte er. »Habe ich dich gestört?«
»Nein. Hm-hm. Ich bin gerade mit dem Training fertig geworden. Komm rein.« Sie trat zur Seite.
Er kam herein und schloss die Tür hinter sich. »Wahrscheinlich hätte ich vorher anrufen sollen, aber …« Er zuckte die Schultern.
»Das ist schon in Ordnung. Magst du einen Drink oder so was?«
»Weißwein wäre nett, falls du welchen hast.«
»Klar, komm mit.« Sie ging zur Küche, und Harold folgte ihr. Ihr Herz schlug schnell. Sie fühlte sich ein wenig angespannt und elend.
Er hätte eigentlich nicht auftauchen dürfen.
Hatte er sie denn nicht verstanden? War sie vorletzte Nacht nicht deutlich genug gewesen?
Offensichtlich nicht.
Sie hatte versucht, sich so klar wie möglich auszudrücken, ohne direkt zu sagen, dass sie nicht mehr mit ihm zusammen sein wollte.
Sie nahm eine Flasche Weißwein aus dem Schrank. »Ich fürchte, er ist nicht kühl genug«, sagte sie. »Möchtest du Eis rein?«
»Nur einen Würfel. Ich will ihn nicht zu sehr verwässern«, fügte er hinzu und gab ein hüstelndes Kichern von sich, das sehr nervös klang.
Oh, er hat es ganz genau verstanden.
Aber er ist trotzdem hier.
Joan reichte ihm die Flasche. Er ging zu der Schublade, wo sie den Korkenzieher aufbewahrte. Nachdem er dreimal hier zum Essen gewesen war, wusste er, wo er ihn finden konnte.
Die gute alte Debbie. Ein kluges Kind. Schon nach dem ersten gemeinsamen Essen hatte sie festgestellt: »Dieser Harold ist eine Null. Wieso verschwendest du deine Zeit mit ihm?«
»Er ist nett«, hatte Joan gesagt.
»Das ist Popcorn auch. Trotzdem verabredest du dich nicht damit.«
»Wenn ich zum Sommer-Film-Festival gehe, könnte das schon passieren.«
»Ich meine das ernst. Lass den Typ fallen und such dir einen richtigen Kerl . Du bist bei den Bullen, da musst du doch Kerle kennenlernen.«
Joan stellte zwei Weingläser auf die Frühstückstheke. Sie ließ einen Eiswürfel in eines davon fallen. Harold hatte Schwierigkeiten mit dem Korken. Er beugte sich vor, klemmte die Flasche zwischen die Beine, packte den Flaschenhals und drehte den Griff des Korkenziehers.
Während Joan ihn beobachtete, musste sie daran denken, wie sie gestern in Daves Haus den Champagner geöffnet hatte.
Wenn ich jetzt doch nur dort wäre, dachte sie. Aber Dave würde nicht dort sein. Er kümmert sich um Gloria, und ich muss mit Harold fertig werden. Wir haben jeder unseren eigenen Schlamassel zu bewältigen, der uns voneinander fernhält.
Harold zog den Korken heraus. Er füllte die Gläser und reichte Joan das ohne Eis.
»Ich hoffe, es stört dich nicht, dass ich einfach so vorbeigekommen bin«, sagte er, als sie ins Wohnzimmer hinübergingen.
»Nein, das ist schon in Ordnung. Ich sehe nur ziemlich schrecklich aus.«
»Du siehst hinreißend aus. Wie immer.«
»Danke«, murmelte sie.
Harold setzte sich aufs Sofa, und Joan nahm neben ihm Platz.
Es gibt keinen Grund, sich nicht neben ihn zu setzen, sagte sie sich. An den Abenden, wo er zum Essen gekommen war, hatten sie lange auf dem Sofa nebeneinandergesessen, Brandy getrunken und sich unterhalten. Debbie war zweimal ins Kino gegangen, sie
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