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Die Gang: Roman (German Edition)

Die Gang: Roman (German Edition)

Titel: Die Gang: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Laymon
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waren allein gewesen so wie jetzt, und das Verwegenste, was er je getan hatte, war, ihre Hand zu halten. Und so wird es auch diesmal sein, dachte sie. Darauf kannst du wetten.
    »Ich hatte vor, dich anzurufen«, sagte sie.
    Harold nickte. Er nahm einen Schluck Wein und starrte sein Glas an. »Das verstehe ich. Und ich kann mir gut vorstellen, was du gesagt hättest. Ich war nicht besonders versessen darauf, es zu hören. Jedes Mal, wenn das Telefon klingelte, dachte ich, du wärst es, und … Das ist alles nicht einfach für mich, Joan. Hierherzukommen. Ich habe mich den ganzen Tag lang … elend gefühlt.«
    »Das tut mir leid«, murmelte sie.
    Er hob die Hand, als wollte er eine Entschuldigung nicht gelten lassen. »Das ist nicht deine Schuld. Es hat mit mir zu tun. Du hattest absolut recht mit dem, was du vorgestern Nacht zu mir gesagt hast. Ich bin ein Feigling. Ich bin immer einer gewesen. Ich habe jedes mögliche Risiko immer vermieden – körperlich und gefühlsmäßig.«
    Er sah sie an, lächelte freudlos und richtete den Blick wieder auf das Glas. »Ich war tatsächlich schon fünfundzwanzig, bis ich meinen ersten sexuellen Kontakt hatte. Und damals hat mich das Mädchen verführt. Sie hat mich nicht interessiert. Sie war … nicht attraktiv. Tatsächlich war sie sogar ausgesprochen unansehnlich. Wie jede Frau, der ich mich je genähert habe.«
    »Na, herzlichen Dank«, sagte Joan und hoffte, ihn damit aufzuheitern.
    »Wenn du dich richtig erinnerst: Du hast mich angesprochen.«
    Sie erinnerte sich. Sie war im Studentenbuchladen gewesen, weil es dort die beste Auswahl gab. Harold stand auf dem Gang in der Prosa-Abteilung, und sie hatte irrtümlich angenommen, er sei ein Angestellter, und ihn gefragt, wo sie Shel Silversteins Where the Sidewalk Ends finden könnte. »Ich hab schon A Light in the Attic , und das hat mich wirklich erschüttert.«
    »Es sind Kinderbücher, das wissen Sie doch?«, hatte er gesagt.
    »Tatsächlich? Na gut, von Sylvia Plath bekomme ich ohnehin nur Kopfschmerzen.«
    Er hatte darüber gelacht.
    Nachdem er das Buch herausgesucht und sie es bezahlt hatte, verließen sie den Laden gemeinsam, und sie sagte: »Warum kommen Sie nicht mit mir in den Studentenklub? Ich gebe Ihnen einen Kaffee aus und belehre Sie über den Verdienst von Silverstein und Dr. Seuss.«
    Dort hatte sie erfahren, dass dies sein erstes Jahr an der Universität war. Sie hatte ihm erzählt, dass sie früher in der Bibliothek gearbeitet hatte, und sie waren vertrauter miteinander geworden, als sie über ein paar ziemlich schräge Vögel sprachen, die in der Bibliothek und im Fachbereich Englisch arbeiteten.
    »Ich war … sofort hingerissen«, sagte Harold. »Ich konnte kaum glauben, dass ich mich in der Gesellschaft einer Frau befand, die nicht nur überwältigend attraktiv war, sondern auch intelligent und belesen und geistreich. So etwas war mir noch nie passiert. Ich fand es unglaublich, dass du überhaupt mit mir gesprochen hast, vielmehr …«
    »Ich mag dich, Harold. Ich mag dich wirklich. Unsere Zeit zusammen hat mir gefallen.«
    »Gefallen.« Er schnaubte leise. »Was für ein blasser Begriff. Für mich war die Zeit, die wir zusammen verbracht haben … ein Stück vom Paradies. Deshalb habe ich es nie gewagt, nie riskiert …« Er schüttelte den Kopf.
    »Mir näherzukommen?«
    »Ich wollte ja«, gab er zu und schaute ärgerlich auf sein Weinglas. »Du kannst dir nicht vorstellen, wie gern ich dich geküsst hätte oder in den Arm genommen. Ich habe davon geträumt …«
    Das Klingeln des Telefons unterbrach ihn.
    Joans Herz machte einen Sprung.
    Dave? Es musste Dave sein.
    Das Telefon klingelte wieder und wieder.
    »Willst du nicht rangehen?«, fragte Harold.
    »Nein«, sagte sie und legte sanft eine Hand auf sein Knie. Das Telefon klingelte noch siebenmal.
    Die Stille danach war drückend.
    Harold begann zu weinen. Er stellte das Weinglas auf den Tisch und wandte sich von Joan ab. Sie rieb über seinen Rücken. Sie konnte spüren, wie er zuckte, als er versuchte, sein Schluchzen zu unterdrücken.
    »Ich weiß, dass es vorbei ist«, sagte er mit erstickter Stimme. »Du hast nach einem … einem Rhett Butler gesucht, und ich bin … nicht einmal ein Ashley. Ein Bücherwurm, das ist es, was ich bin, nichts als ein armseliger Bücherwurm.«
    »He, komm! Es wird alles wieder gut.«
    »Nein. Nein, das glaube ich nicht.«
    »Wir werden uns weiterhin treffen, Harold, und weiterhin Freunde sein. Und wir waren auch

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