Die Gassen von Marseille
behandelt, erzähle ich den beiden von dem Angriff.
»Ich habe zwei Männer gesehen … Besser gesagt, einen habe ich gesehen, aber nur schlecht, im Gegenlicht. Ich würde ihn nicht wiedererkennen … Wahrscheinlich haben sie sich geirrt, das ist doch nicht zu fassen …«
Meine Freunde sind entsetzt.
Juanita ist der Meinung, ich sollte die Polizei informieren.
»Schon … Aber wenn sie nun doch hinter dir her waren … und merken, dass sie dich nicht erwischt haben, kommen sie womöglich wieder … Du hast doch nichts zu verlieren, wenn du zu den Bullen gehst.«
Jean-Michel sucht irritiert nach einer vernünftigen Erklärung. Er kapiert nicht, was die ganze Sache sollte. Ich übrigens auch nicht.
»Da muss es doch irgendetwas geben. Denk nach … Schulden? Eine üble Liebesaffäre? Bist du vielleicht einem cacou auf die Füße getreten? Bei diesen Kerlen aus dem Süden reicht manchmal schon ein falsches Wort … Oder vielleicht noch was aus deiner Zeit als Fotograf?«
Er hat Angst um mich, das sehe ich ganz deutlich.
Und es rührt mich. Er ist überaus sensibel und mag mich sehr …
Jean-Michel stammt ursprünglich aus Paris. Dort habe ich ihn gegen Ende der Siebziger kennengelernt. Als er runter in den Süden gezogen ist, wirkte er hier erst völlig fehl am Platz. Aber er hat sich schnell an Pastis, Boule, den Akzent und die hiesige Ausdrucksweise gewöhnt.
Ich suche nach einem Hinweis, der den Angriff erklären könnte, aber mir fällt nichts ein. Ratlos zucke ich mit den Schultern.
»Nein, wirklich keine Ahnung … Ich weiß nicht, was ich getan haben soll oder wem … Jedenfalls kenne ich den Umriss dieses jobi, der mich erschlagen wollte, nicht, da bin ich mir ganz sicher. Und die Stimme seines Komplizen auch nicht … Das sind einfach nur zwei fadas, Verrückte …«
Juanita lässt nicht locker.
»Du musst zur Polizei gehen … Ich bestehe darauf, Constantin! Du kannst das nicht einfach so auf sich beruhen lassen … Denk doch mal nach … Selbst wenn sie dich verwechselt haben, kommen sie womöglich wieder … Und wer weiß, was dann passiert! Vielleicht hast du beim nächsten Mal weniger Glück.«
Ich denke nach.
»Nein. Ich kann doch nicht bei den Bullen auftauchen und behaupten, jemand hätte versucht, mich mit einem Paddel zu erschlagen, aber ich wäre durch eine Felsspalte geflüchtet … Das ist zu … abenteuerlich … Und was sollen die überhaupt machen? Ganz ehrlich, ich glaube, die Typen haben sich einfach vertan … Und falls sie mich tatsächlich umbringen wollten, glauben sie jetzt bestimmt, dass sie es geschafft haben …«
Juanita schaut mich verständnislos an.
»Was meinst du denn damit?«
Ich lache fröhlich.
»Na, was schon? Ich bin im Meer verschwunden … Einfach untergegangen … Constantin, der einzige Grieche, der sich im Wasser auflöst wie Pastis … Und wo wir schon dabei sind, wäre es nicht langsam Zeit für einen kleinen Aperitif? Über meine Zukunft zu reden ist ja gut und schön, aber was ist mit der Gegenwart?«
Jean-Michel legt mir väterlich eine Hand aufs Knie. Und schlägt sich auf die Seite seiner Angebeteten … Ach ja, die Liebe …
»Also ich glaube, Juanita hat recht … Du solltest trotzdem zu den Bullen gehen … Soll ich das für dich übernehmen? Du weißt doch, ich habe Verbindungen zur Polizei …«
Als er meine überraschte Miene sieht, fügt er hinzu: »Zwangsläufig … Ab und zu arbeite ich mit den Gendarmen zusammen … In Marseille ist Schwarzarbeit gar nicht so selten … Erst vor kurzem auf Frioul …«
Ich lache, denn ich kenne seine maoistische Vergangenheit und kann ihn mir schlecht bei knallharten Einsätzen der GIGN vorstellen …
»Mach dir keine Sorgen … Ich brauche keine guten Ratschläge von deinen Gendarmen … Ich rufe Mateis an …«
»Ist er immer noch bei der Polizei?«, fragt mich Jean-Michel überrascht. »Komisch, ich dachte, nach … Ich war mir sicher, dass er den Dienst quittiert hat, nachdem …«
Es ist ihm unangenehm, meine schmerzliche Situation und ihre Auswirkungen auf das Leben meines Freundes, des Kommissars Philippe Mateis, zu erwähnen.
Er wechselt einen Blick mit Juanita und dreht sich dann wieder zu mir, als wollte er mich um Verzeihung bitten.
Ich schenke ihm ein breites Lächeln.
Und versetze ihm einen sanften Hieb in den Magen.
»Heute können wir über alles reden … Das tut mir nicht mehr weh …«
Ein Moment vergeht schweigend, erfüllt von dunklen Erinnerungen …
»Und was
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