Die Gassen von Marseille
grünen Augen eigentlich blau sind, aber die gelben Flecken in der Iris lassen sie grün erscheinen. Ihr kurz geschnittenes Haar ist schneeweiß. Eine hohe Stirn. Der Blick offen, direkt, voller Sanftheit und Wärme. Wie ihre Stimme.
»Guten Tag, Constantin. Ich weiß … Ich sehe Sie auch, seit dem Tod meiner Schwester …«
Ich bin wie gebannt, kann mich nicht von ihr lösen. Sie berührt mit ihren Händen mein Gesicht und schließt meine Augen.
»Sie haben mir noch nicht alles erzählt … Aber lassen Sie uns bitte erst fahren … weg von hier …«
»Wo wollen Sie denn hin?«
Ich spüre, wie mich alles überrollt.
»Zu Ihnen! Zu dir …«
Anmerkungen des Autors
Dieses Buch ist ein Produkt meiner Fantasie. Wer sich darin wiedererkennt, irrt. Alle Figuren, die nicht im großen Buch der Geschichte stehen, habe ich erfunden.
Und einige Worte zur Marseiller Sprache
Zu Beginn des Jahrhunderts zwang man die Einwohner von Marseille, Französisch zu sprechen. Sie machten sich diese Sprache zu eigen, indem sie sie ihrer alten, komplexen, aus vielen unterschiedlichen Wurzeln erwachsenen Kultur anpassten … Marseille, alte französische Stadt und Mittelmeerhafen, hat seit jeher, vor der Antike schon, Fremden eine neue Heimat geboten … Welchen Beitrag diese Neuankömmlinge zur Sprache Marseilles geleistet haben, kann niemand genau beziffern. Was zählt, ist, dass sie zu einer fröhlichen, poetischen Sprache wurde … und einer lebendigen Sprache, denn sie wird bis heute gesprochen. Sie können sie hören, wenn Sie über den Marché des Capucins schlendern, durch den kleinen Hafen von Vallon des Auffes streifen oder in den Bars von l’Estaque Ihren Aperitif trinken! Daher wollte ich diese sprachlichen Besonderheiten nicht tilgen. Fast immer erklären sich die Begriffe aus der Marseiller Mundart, die ich in dieses moderne Märchen eingeflochten habe, durch ihren Kontext. Dennoch habe ich auf den folgenden Seiten ein Glossar angefügt, in dem jene Wörter übersetzt werden, die sich dem Verständnis nicht erschließen.
Glossar
Allez zou: Los geht’s
Bàbi: Italiener
Baccala: Kabeljau, auch Bezeichnung für einen mageren Menschen
Bada: etwas mehr, eine Dreingabe
Bazarette: eine schwatzhafte Frau
Blanquinas: weiß, farblos
Boche: französische Bezeichnung für Deutsche
Bicot: abfällige französische Bezeichnung für einen Nordafrikaner
Bon diou: Ausruf, »guter Gott«
Bonne Mère: wörtlich die »Gute Mutter«, Bezeichnung der Marseiller für ihr Wahrzeichen, die Kathedrale Notre-Dame de la Garde
Boucan: bezeichnet einen Menschen, mit dem nur schwer auszukommen ist
Boudie: Ausruf, »guter Gott«
Bougre de stasi: Beschimpfung, etwa: »blöder Hornochse«
Cacou: junger Mann von zweifelhaftem Auftreten
Cafoutchi: winzige Kammer, Wandschrank
Cagole: Frau des cacou
Calignaïres: ein verliebtes Pärchen
Capian: Holzskulptur, die einen Phallus darstellt und am Bug der Marseiller Boote angebracht ist
Casse-dents: hart gebackene Kekse mit ganzen Mandeln, vergleichbar mit Cantuccini
Cheudeu: Zusammenziehung aus »Fatcheu de con«
Counas: kleiner Idiot
Destrucci: Zerstörer; ein destrucci sein: immer alles kaputt machen
Doumé: Dominique
Engatse: Ärger, Scherereien
Espinchades: Seitenblicke
Esquinade: eine magere Person
Estouffe-guàrri: wörtlich »Rattenersticker«, etwas Ermüdendes, Langweiliges, Trockenes
Estrambord: Begeisterung, Trubel
Estransi: traurig
Et bé: Nun denn
Fada, Fadoli: Verrückter
Fan: Kind
Fan de chichourle: ein Ausruf
Fatche: aus dem provenzalischen »faci«, Gesicht
Fatche de con: wörtlich »Idiotengesicht«, ein Fluch
Fatche de pute borgne: wörtlich »Gesicht einer einäugigen Hure«, ein Fluch
Fìoli: reicher, angepasster Mensch
Furade: Geknutsche
Gabian: Möwe
GIGN: Groupe d’Intervention de la Gendarmerie Nationale, eine Spezialeinheit der französischen Gendarmerie mit dem Einsatzschwerpunkt Terrorismusbekämpfung
Girelle (royale): Meerpfau, ein kleiner bunter Fisch, auch Bezeichnung für ein hübsches Mädchen
Jobi: Verrückter
Loule: Louis
Marsiale: Marseille
Mi: korsischer Ausruf
Mia: Typ des auffälligen Marseiller Playboys
Milice: Milice Française, Freiwilligenbewegung der französischen Vichy-Regierung
Nervi: Gauner, Verbrecher
Nine: junges Mädchen
Niston, Nistonne: kleiner Junge, kleines Mädchen, als Anrede »mein Kleiner«, »meine Kleine«
Nono: Jean
Novis: junges Paar, Verlobte
Pachole: weibliches
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