Die Gateway-Trilogie: Mit einem Vorwort von Jack Vance (German Edition)
nackten Wände der Tunnels waren aufregend, weil sie aus Hitschi-Metall bestanden, unendlich alt waren und immer noch mit dem schwachen, bläulichen Licht strahlten, das ihre Erschaffer ihnen mitgegeben hatten. (Welche Art von Augen hatten dieses Licht gesehen, als alles neu gewesen war?) Sie stieß sich mühelos von Kammer zu Kammer, und nur ihre Fußballen berührten überhaupt den Boden. In diesem Raum gab es Wände mit gummiartigen Regalen (was hatten sie einmal enthalten?), in jenem hockte ein riesiges Kugelsegment, Spiegelchrom nach außen, seltsam pulvrig bei Berührung – wozu diente das? Bei manchen Dingen konnte sie etwas erraten. Das Ding, das wie ein Tisch aussah, war ganz gewiss ein Tisch. (Die Umrandung diente zweifellos dazu zu verhindern, dass in der niedrigen Schwerkraft der Nahrungsfabrik etwas vom Tisch glitt.) Manche Gegenstände waren durch Vera für sie identifiziert worden, unter Benützung der Informationsspeicher über Hitschi-Artefakte, von den großen Datenquellen zu Hause auf der Erde katalogisiert. Die Zellen mit spinnwebartigen grünen Geflechten an den Wänden waren, wie man annahm, für Schlafzwecke benutzt worden; aber wer konnte schon wissen, ob die dumme Vera Recht hatte? Egal. Die Gegenstände selbst waren ungeheuer aufregend. Nicht anders als ringsum der viele Raum, in dem man sich bewegen konnte. Sogar verirren mochte. Bis sie nämlich die Nahrungsfabrik erreicht hatten, war Janine in ihrem ganzen Leben kein einziges Mal die Gelegenheit geboten worden, sich zu verirren. Bei dem Gedanken verspürte sie ein Kitzeln angstvoller Freude. Zumal da der ganz erwachsene Teil ihres vierzehnjährigen Gehirns sich stets der Tatsache bewusst war, dass, gleichgültig, wie sehr sie sich verirrte, die Nahrungsfabrik einfach nicht groß genug war, um sich in ihr für immer zu verirren.
Es war also ein ungefährlicher Kitzel. Oder schien einer zu sein.
Bis sie bei den Docks auf der anderen Seite in der Falle saß, während irgendetwas – Hitschi? Raummonster? Ein irrer, alter Schiffbrüchiger mit einem Messer in der Hand? – aus den verborgenen Gängen ihr entgegenkam.
Und dann war es nichts von alledem; es war Wan.
Natürlich wusste sie seinen Namen nicht. »Komm du ja nicht näher!«, wimmerte sie, während ihr das Herz bis zum Hals hinauf schlug, das Funkgerät in der Hand, die Arme vor ihren jungen Brüsten gekreuzt. Er tat es auch nicht. Er blieb stehen. Er glotzte sie mit herausquellenden Augen an, den Mund geöffnet, während ihm beinahe die Zunge heraushing. Er war hoch gewachsen und mager. Sein Gesicht lief spitz zu, die Nase war lang und hakenförmig. Er trug ein Kleidungsstück, das einem Rock ähnlich war, darüber eine Art Trainingsbluse, beides sehr schmutzig. Er roch nach Mann. Er zitterte, während er schnupperte, und er war jung . Auf keinen Fall war er viel älter als Janine selbst und damit die einzige Person, die sie seit Jahren gesehen hatte, die nicht dreimal so alt war wie sie. Und als er auf die Knie sank und zu tun begann, was Janine eine andere Person noch nie hatte tun sehen, stöhnte sie auf, während sie kicherte – Belustigung, Erleichterung, Schreck, Hysterie. Der Schreck betraf nicht das, was er tat. Der Schreck rührte daher, dass sie einem Jungen begegnet war . Im Schlaf hatte Janine wilde Dinge geträumt, aber niemals so etwas .
In den folgenden Tagen konnte Janine Wan nicht aus den Augen lassen. Sie war seine Mutter, seine Gespielin, seine Lehrerin, seine Ehefrau. »Nein, Wan! Langsam schlürfen, das ist heiß!« – »Wan, soll das heißen, dass du ganz allein gewesen bist, seit du drei warst?« – »Du hast wirklich wunderschöne Augen, Wan.« Es machte ihr nichts aus, dass er nicht erfahren genug war, um darauf zu erwidern, sie hätte ebenfalls wunderschöne Augen, weil sie klar erkannte, dass sie ihn mit allem, was an ihr war, faszinierte.
Die anderen merkten das natürlich auch. Janine ließ sich dadurch nicht beirren. Wan brachte an sinnesscharfer, strahlender, besessener Bewunderung genug auf für alle. Er schlief sogar noch weniger als sie. Am Anfang mochte sie das, weil es bedeutete, dass sie mehr von Wan hatte, aber dann konnte sie erkennen, dass er immer erschöpfter wurde. Sogar krank. Als er in dem Raum mit dem schillernden, silberblauen Kokon zu schwitzen und zu zittern begann, war sie diejenige, welche aufschrie: »Lurvy! Ich glaube, er wird krank!«
Als er zur Liege wankte, stürzte sie zu ihm, die Finger ausgestreckt, um seine
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