Die Gauklerin von Kaltenberg
sie ihn mitSchlägen und Tritten traktiert, bis er das Bewusstsein verlor. Wenn Hermann von Rohrbach wirklich nicht sein Vater war, war Raoul ein ehrloser Bastard. Niemand würde ihn aus lösen oder auch nur nach ihm fragen, Ulrich konnte ihn einfach verrotten lassen. Er war verloren.
Ein Frostschauer schüttelte ihn, seine Zähne schlugen auf einander, dann durchlief ihn glühende Hitze. Dass Anna ihn ver raten hatte, versetzte ihm wider Willen einen Stich. Sonst fiel es ihm leicht, Frauen für sich einzunehmen, aber er hatte sie unter schätzt. Einen Moment hatte er sogar geglaubt … Ein brennen der Schmerz ließ ihn zischend die Luft einsaugen. Raoul wandte den Kopf auf die nackte Schulter, wo ihn die Armbrust getroffen hatte. Die Wundränder waren heiß geschwollen, und der Stoff des zerrissenen Ärmels klebte in der Wunde. Ein fauliger Geruch stieg auf. Raoul erschrak. Oft hatte er gesehen, wie Männer innerhalb von Stunden am Wundbrand gestorben waren. Er prüfte, ob er den Muskel bewegen konnte. Als er die Wundränder mit dem un rasierten Kinn berührte, knisterte es, und er spürte Blasen. Ver zweifelt zerrte er an den Ketten.
Mit einem unterdrückten Schrei ließ er sich zurückfallen und schloss erschöpft die Lider. Seine Hoffnung war alles, was er hatte. Sie hatte ihn selbst zu Dingen getrieben, auf die er nicht stolz war. Es durfte nicht umsonst gewesen sein! Ohnmächtiger Hass ergriff ihn, und er presste die Kiefer so fest aufeinander, dass es schmerzte. Sollte er diesen Ort lebend verlassen, würde Ulrich es bereuen.
Sein Körper fühlte sich dumpf an, als läge er unter weichen Stoffballen begraben. Er kämpfte gegen die Hoffnungslosigkeit, die ihn zu lähmen drohte.
Irgendwann knirschte der Riegel. Raoul fuhr sich mit der Zunge über die trockenen Lippen und richtete sich auf, so weit die Ket ten es zuließen.
Ein fahler Strahl fiel herein, eine schattenhafte Gestalt zeich netesich darin ab. Dann flackerte rötliches Fackellicht, und er konnte sein Gefängnis sehen: ein niedriges Steingewölbe, kahl bis auf das verfaulte Stroh und den Unrat. Ein grauhaariger Ritter im Ornat der Deutschherren tastete sich an der salpeterüberzogenen Wand entlang. Krampfhaft zermarterte sich Raoul das Gehirn, wo er ihn schon einmal gesehen hatte. Richtig – er war in Landsberg im Gefolge des Königs gewesen. Hoffnung keimte in ihm auf. Hatte sich Ludwig selbst seiner angenommen?
»Wo ist Ulrich von Rohrbach?«, fragte er. Er spannte die Bauch muskeln, um seinen schlanken Körper, so weit es ging, aufzurich ten. Hasserfüllt spuckte er die Worte aus: »Ist er zu feige, mir in die Augen zu sehen?«
Ohne sich darum zu kümmern, dass sein weißer Mantel im Dreck schleifte, kam der Ordensritter heran. Wortlos beugte er sich herab und sah ihn längere Zeit an. Verständnislos blickte Raoul zu dem Gesicht auf, in das der Fackelschein tiefe Furchen grub. Das lange graue Haar war streng zurückgekämmt und betonte die kühn hervorstehende Nase und die edel geschwungenen Lippen. In den hellen Augen stand Trauer – nicht der heftige Schmerz einer frischen Wunde, sondern das tiefe, zur Gewohnheit gewor dene Leid einer alten Verletzung. Wider Willen empfand Raoul eine ungewohnte Scheu.
Der Ordensritter musterte ihn lange und eingehend, dass er das Gefühl hatte, einer Prüfung unterzogen zu werden. Als suche der Fremde in seinem Gesicht bekannte Züge, vor langer Zeit. Dann, wie um eine unbeherrschte Regung zu verbergen, wandte sich der Deutschherr ab. Er winkte dem Knecht, der hinter ihm hereinge kommen war. Überrascht starrte Raoul auf seine Arme und Beine, als der Mann die Ketten löste.
Nach dem tagelangen Liegen kämpfte er um sein Gleichge wicht. Benommen taumelte er und tastete haltsuchend nach der Wand. Der Ritter griff nach seinem Arm und zog ihn ins Freie. »Kommt – ehe ich es bereue!«
Raoulkeuchte, Fieberschauer schüttelten ihn. Wieder wurde ihm schwindlig, als die kalte Luft unvermutet in seine Lunge schnitt. Er spürte noch, wie sein Retter nach seinem verletzten Arm griff. Ein brennender Schmerz durchzuckte ihn. Dann wurde alles dunkel.
11
»Einen Pfennig, Herr, für eine arme Wittfrau! «
Der Ordensritter warf der Bettlerin am Münchner Färbergra ben eine Münze zu. Aufmerksam sah er sich um. Längst war das Holz vor den Häusern aufgestapelt, und selbst hier in den Vor städten war etwas Stille eingekehrt. Nur ein paar Salzknechte kamen noch aus einer Schenke in einer Seitengasse, aber sie küm
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