Die Gauklerin von Kaltenberg
einem Gaukler ins Gebüsch zerren ließ, neun Monate bevor sie mit dir niederkam! Sei bloß vorsichtig: Du bist zehn Tage nach Vollmond geboren. Es heißt, so jemand hat ein unruhiges Leben vor sich. Kilian ist keine schlechte Partie!«
»Er hat gerade erst seine Zita unter die Erde gebracht«, erin nerte ihn Anna. »Jedes Jahr eine neue Schwangerschaft, und nicht einmal im Wochenbett konnte sie sich ausruhen! Er ist so einfühl sam wie ein Schinder und so leidenschaftlich wie eine leere Erb senhülse.«
Das hatte er erst heute Mittag wieder bewiesen: »Eine anstän dige Frau stirbt mit fünfundzwanzig«, hatte er gesagt, »damit der Mann wieder heiraten kann.« Aber auf ihren Tod brauchte er nicht zu warten. Weil sie ihn gar nicht erst heiraten würde.
»Träum besser nicht von Liebesschwüren«, redete ihr Martin zu. »Der Vater behält einen guten Gesellen, und Kilian bekommt seinenTeil an der Schmiede. Die Ehe ist ein Geschäft, Kleines, nichts weiter.«
»Eben. Wie Hurerei.«
Ihr Bruder räusperte sich. »Er ist ein guter Schmied. Und wenn du ihm gehorchst, wird er dich auch nicht prügeln.«
Das versprach ja eine glückliche Zukunft, dachte Anna rebel lisch. Insgeheim wünschte sie Kilian den Bauchfluss an den Hals. Die Vorstellung, wie er auf der Latrine mit dem Inhalt seines Darms kämpfte, verschaffte ihr ein wenig Genugtuung.
»Du weißt, warum Vater dich verheiraten will.« Ihr Bruder wies den bewaldeten Hügel hinauf, wo die Burgzinnen aus den Zwei gen ragten. »Stimmt es, was die Leute reden?«, fragte er. »Über dich und Herrn Ulrich?«
Anna antwortete nicht, aber ihr Erröten verriet ihre Gefühle. Zweimal wöchentlich leistete ihr Vater seine Fronarbeit auf der Burg, und sie brachte ihm das Bier hinauf. Anfangs hatte sie Ulrich von Rohrbach, den jungen Burgherrn, nur von weitem gesehen, wenn er auf seinem Schimmel über den Hof trabte. Mit den ande ren Mädchen hatte sie über sein gutes Aussehen getuschelt und nur heimlich von ihm geträumt. Bis vor wenigen Monaten …
»Heilige Maria!«, stieß Martin hervor. Er hob ihr Kinn an, so dass sie ihm ins Gesicht sehen musste. »Hat er dich mit Gewalt ge nommen?«
»Er hat nichts getan, was ich nicht gewollt hätte!«, erwiderte Anna heftig. »Was ich sonst von niemandem hier sagen kann!« Sie befreite sich. Dann dachte sie wieder an den letzten Maitanz und musste unwillkürlich lächeln. Die ganze Zeit schon hatte sie be merkt, wie Ulrich sie vom Rand des Tanzbodens aus beobachtete. Erhitzt war sie irgendwann hinter die Wildrosensträucher am Dorfanger gelaufen. Und er war ihr gefolgt.
Er hatte ihre strengen Zöpfe gelöst und die Locken durch seine langen, schlanken Finger gleiten lassen. Hundertmal hatte man sie gewarnt, dass sie mit ihrer Unschuld auch ihre Ehre verspielte. Aberals er sie geküsst hatte, hatte Anna gespürt, dass er sich ebenso wenig wehren konnte wie sie. Der Duft der Wildrosen war ihr betäubender erschienen als je zuvor und die Rhythmen vom Anger erregender. Als er sich im weichen Gras über sie gebeugt hatte, hatte sie einfach die Augen geschlossen und es geschehen lassen. Ein kurzer Schmerz hatte sie leise aufschreien lassen, und sie hatte gewusst, dass es kein Zurück mehr gab. Ihr Gesicht glühte beim bloßen Gedanken an das, was er dann mit ihr getan hatte. Seitdem trafen sie sich, heimlich, verstohlen, leidenschaftlich, wann immer es ging.
»Gott hat es nun einmal so eingerichtet, dass es Herren und Diener gibt«, redete Martin auf sie ein. »Ein Ritter steht fast so weit über einer Bauernmagd wie der Kaiser über den Sterblichen. Was ihr treibt, ist Unzucht!«
Als ob sie das nicht wüsste! Jedes Mal, wenn sie diesen furcht erregenden und zugleich vollkommenen Augenblicken des Glücks entgegensah, kostete der Weg zur Burg Anna ungeheuren Mut. Scham, Angst und das Gefühl, etwas Unrechtes zu tun, ließen sie davor zurückscheuen. Aber wenn sie dann bei ihm war, wenn sie sich küssten und sie seine unbeherrschte Erregung spürte, wollte sie nur noch eines: ihn festhalten und nie wieder aufgeben.
»Ich wünschte ja selbst, wir wären vom gleichen Stand und könnten heiraten«, erwiderte sie endlich. Heimlich träumte sie da von, sich nicht mehr verstecken zu müssen, wenn sie sich berüh ren wollten. Selbst die erbärmlichste Kate wäre ihr gut genug ge wesen, wenn sie dort offen mit Ulrich hätte leben können. Aber dass ein Ritter eine Bauernmagd heiratete, dazu brauchte es mehr als ein Wunder.
Martin nahm sie
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