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Die Gauklerin von Kaltenberg

Titel: Die Gauklerin von Kaltenberg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Freidank
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merten sich nicht um ihn. Der Graben war einer der zahl losen Stadtbäche Münchens, die von der Isar gespeist wurden. Unrat schwamm im brackigen Wasser, und selbst jetzt lag der süßliche Geruch von Fleisch und der Eichenlohe in der Luft. Hier hatten Gerber ihre stinkenden Laugenfässer untergebracht, und die Ger berbäume, über die sie die Häute stülpten, um sie mit ihren brei ten Schabmessern abzufleischen. Wer nicht musste, vermied es herzukommen – schon aus Angst, sich mit Milzbrand oder ande ren heimtückischen Krankheiten anzustecken.
    Als er sich überzeugt hatte, dass niemand ihn beobachtete, stieg der Deutschherr vom Pferd und betrat eine der Hütten. Frös telnd schlug er den Mantel um den Leib, hier drinnen war es kaum wärmer als draußen. Maimun, der an dem Lager aus Fellen gesessen hatte, war aufgesprungen. Der Deutschherr bückte sich unter einem niedrigen Deckenbalken und beugte sich über den Kranken.
    Raouls schmale schwarze Brauen stachen aus dem totenbleichen Gesicht. Auf seiner nackten Haut perlte trotz der Kälte Schweiß. Maimun hatte ihn entkleidet, heiße Ziegelsteine um ihn gelegt und die dicksten Felle über ihn gebreitet. In den letzten drei Tagen war er nur kurz zu sich gekommen. Obwohl Maimun ihm vonseinem Weidenaufguss eingeflößt hatte, war das Fieber noch nicht überwunden.
    »Es ist so weit!« Der Ritter richtete sich auf, als müsse er sich gewaltsam von dem Anblick lösen. »Wird er es schaffen?«
    Maimun wechselte noch einmal die mit Essig getränkten Tü cher auf Raouls Stirn und sah nach den Verletzungen. Die an der Schulter war noch geschwollen und blutig, doch die verfaulten Stellen und der Eiter waren verschwunden. Dennoch kämpfte der Deutschherr sichtlich mit der Übelkeit, als er die Maden im offe nen Fleisch bemerkte. »War das nötig?«
    »Er hatte noch Glück«, erwiderte Maimun. »Ich habe die Wunde ausgeschabt, nun fressen die Maden das verseuchte Fleisch ab. Dass Ihr ihn den ganzen weiten Weg nach München gebracht habt, hätte ihn fast umgebracht.«
    Der Ritter presste die vollen Lippen aufeinander. »Ich bin erst vor zwei Jahren in den Orden eingetreten – überschätzt meine Be deutung nicht. Im Konvent in Hegnenberg ist nicht jedermann vertrauenswürdig. Der Gerber hier kennt mich. Es war der si cherste Ort.«
    »König Ludwig hat Raouls Freilassung also nicht befohlen?«, fragte Maimun, während er sich die Hände bedachtsam an einem Tuch abwischte.
    Das noch immer schöne Gesicht des Ritters blieb unbewegt. Er wies auf sein Ordensgewand. »König Ludwig vertraut unserem Habit.«
    Und das erwartete er auch von ihm. Maimun verstand. Er sah nach den stinkenden Häuten. »Wenn wir ihn in die Decken wi ckeln, wird es gehen. Es muss.«
    Gemeinsam brachten sie den Kranken ins Freie. An der alten Mauer entlang erreichten sie die Wiesen, die zur Isar hin leicht abfielen. Der Fluss war hier breit und von mehreren Inseln geteilt. Stämme und Flöße an den Schotterbänken verrieten, dass sich dort die Untere Lände befand. Der Flößer erwartete sie. Es hatte zuschneien begonnen, aber der aufkommende Sturm schien ihn nicht zu beunruhigen. Stumm schafften sie Raoul in die Mitte des Floßes, wo er vor dem eiskalten Wasser am besten geschützt war, und zogen ein Wachstuch über ihn. Die schwarzen Locken klebten an seinem fieberheißen Gesicht. Er war noch immer ohne Bewusstsein.
    »Ich danke Euch«, wandte sich Maimun an den Ritter. Er be merkte den zweifelnden Blick des Deutschherrn auf die Armbrust und erinnerte sich, dass sie als unehrenhaft galt. »Er hat den Glau ben verloren und ist voller Hass«, sagte er leise. »Aber er war nicht immer so.«
    »Ich kann nur hoffen, dass ich es nicht bereuen werde.« Ernst raffte der Deutschherr den Mantel und warf die Falten so, dass das schwarze Kreuz verdeckt wurde. »König Ludwig wird alles erfah ren. Aber in diesem Zustand müssen wir ihn zuerst vor seinen Feinden schützen. Im Kloster Weihenstephan wird Euch niemand suchen.«
    »Ihr wagt viel für einen Mann, den Ihr kaum kennt«, sagte Mai mun ruhig.
    Der Deutschherr zögerte. Seine Stimme klang rau, als er erwi derte: »Der König würde auch nicht tatenlos zusehen, wie seine Männer sich gegenseitig umbringen. Lassen wir es dabei – für den Augenblick.« Er wandte sich zum Gehen. Doch er war nicht so schnell, dass Maimun nicht gesehen hätte, dass etwas in seinen Augen glänzte. Dann stieg er in den Sattel und setzte die in die Böschung gehauenen Stufen

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