Die Gauklerin von Kaltenberg
meine kenne. Ihr werdet umsonst auf den König und meinen Vater warten. Das Treffen wurde abgesagt.«
Raoul riss das Schwert hoch.
»Das solltet Ihr nicht tun«, riet Ulrich. »Da Ihr ein Bastard seid, habt Ihr Euch Euren Ritterstand angemaßt. Wenn Ihr auch noch den Burgfrieden brecht, muss ich Euch dem Landgericht über geben.«
Wieein Raubtier ging Raoul auf ihn los und hielt ihm die Klinge an den Hals. Mit Genugtuung spürte er, wie Ulrich unter seinem harten Griff zuckte und in Schweiß ausbrach. Ein schnel ler Blick aus seinen dunklen Augen traf die Knechte, die erschro ckene Rufe ausgestoßen hatten. Widerwillig, beinahe furchtsam näherten sie sich, aber keiner wagte sich heran. Ihre Scheu war deutlich zu spüren, vielleicht dachten sie auch noch an Raouls Ruf, mit dem Teufel im Bund zu sein.
»Wagt nur eine Bewegung, und ich schneide Euch mit Freuden die Kehle durch!«, flüsterte Raoul. Er zog Ulrich dichter zu sich heran, dass dieser rückwärtsstolperte. »Ihr werdet mich zum Kö nig begleiten. Und dann werdet Ihr mir sagen, wo Anna …«
Etwas zischte an seinem Gesicht vorbei. Mit einem Aufschrei ließ er das Schwert fallen. Der Schmerz war so stark, dass ihm die Luft wegblieb. Glühende Punkte tanzten vor seinen Augen, er sah, wie Ulrich sich keuchend umdrehte. Hinter dem Burgherrn ließ der Waffenmeister die Armbrust sinken. Seine Lippen waren fest aufeinandergepresst.
Ulrichs Knechte nutzten den Augenblick. Raoul spürte den harten Stoß eines Schwertknaufs zwischen den Schulterblättern, der ihn wieder nach Atem ringen ließ, dann einen Tritt in die Kniekehlen. Hart stürzte er auf den gestampften Boden.
»Gut gemacht«, lobte der Burgherr und nickte dem Waffen meister zu. Er kam zu Raoul heran. »Ich sollte Euch im Turm ver faulen lassen wie einen rebellischen Bauern«, sagte er hasserfüllt.
Raoul lag stöhnend auf dem Rücken, in seinem schwarzen Haar hing Staub. Seine Kniekehlen schmerzten, die aufgeschürfte Wange brannte. Mit verzerrtem Gesicht versuchte er die Blutung an seinem Arm zu stillen. Zwischen seinen Schulterblättern pochte es so stark, dass er am liebsten geschrien hätte. Verzweif lung drohte ihn zu überwältigen.
Der Waffenmeister packte seinen Arm, um ihn hochzuziehen. Er vergewisserte sich, dass ihn niemand hörte und raunte ihm etwas zu.Raouls Schmerzen ließen urplötzlich nach, seine Kräfte kehrten zurück.
»Sagt das noch einmal!«, flüsterte er heiser.
»Kaltenberg gehört nicht Hermann von Rohrbach«, wieder holte der Waffenmeister. »Die Burg ist ein Sühnepfand. Sie gehört einem entfernten Verwandten. Er, nicht Hermann, ist Euer Vater!«
Langsam kam Raoul auf die Beine. »Wer ist es?« Die Knechte kamen heran und zwangen seine Arme auf den Rücken, dass er erneut vor Schmerz aufschrie. Sie zerrten ihn zum Bergfried. Ver zweifelt wandte er den Kopf zurück. Die feuchten Locken fielen ihm in die Augen, als er schrie: »Wer?«
10
Nacht. Ewige Nacht, dachte Raoul, als er mit schmerzendem Kopf aufwachte. Sein Haar klebte, die Cotte roch, als läge er schon seit Tagen in der klammen Kälte. In der Dunkelheit hatte er jedes Zeitgefühl verloren. Und er hatte keine Vorstellung, wo er sich be fand.
Gewaltsam versuchte er sich aus seinem Dämmerzustand zu reißen. Hand- und Fußgelenke waren aufgescheuert und brann ten. Stöhnend wollte er sich aufrichten, doch er wurde gehindert. Benommen tastete er im Dunkel. Seine Hände und Füße waren mit schweren eisernen Ketten an den feuchten Steinboden gefes selt. Irgendwo quiekte es, etwas huschte über seine Beine. Er wollte sich aufrichten und stieß mit dem Kopf an. Mit einem an geekelten Keuchen richtete er sich auf die Ellbogen, so gut es die Fesseln zuließen.
Hunger wühlte in seinen Eingeweiden, doch der Gestank in dem Verlies war so betäubend, dass er nicht sicher war, ob er nicht ohnehin alles wieder erbrochen hätte. Latrinengestank und die Gerüche von Schimmel und Fäulnis lagen auf seiner Lunge. Er versuchte durchzuatmen, doch der Versuch ließ ihn noch verzwei felter nach Luft ringen. Er brach in Schweiß aus. Wenn es ihm nicht gelang, gleichmäßig zu atmen, würde er bald ohnmächtig werden.
Fieberhaft versuchte er seinen schweren Kopf zu ordnen. Hatte Ulrich ihn dem Landrichter übergeben, oder war er noch auf Kaltenberg? Während sich seine Brust langsamer hob und senkte, erinnerte er sich. Zuerst hatten die Knechte ihn mit spürbarer Scheu behandelt. Aber kaum hatte er in Ketten gelegen, hatten
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