Die Gauklerin
Geschäftigkeit. Unter dem Schutz einiger Wachsoldaten richteten die Menschen ihr Dorf notdürftig wieder her, und auf den Gemüseäckern waren die Frauen und Kinder bei der Arbeit.
Einer der Wachhabenden wies ihnen einen Schlafplatz in der Zehntscheuer zu, die allerdings so überfüllt war, dass sie kaum noch ein freies Eckchen fanden. Ein ganzer Silbergroschen wurde ihnen dafür abverlangt.
«Das sind doch Halsabschneider», schalt Rudolf «Wenn es wenigstens den Dorfbewohnern zugute käme.»
«Dafür gibt es eine warme Suppe und für unsere Pferde Heu.Lass gut sein, Rudolf, so sicher wie in diesem Flecken hab ich mich auf der ganzen Reise nicht gefühlt.»
Nachdem sie die Pferde versorgt hatten, schlenderten sie zur Essensausgabe, die sich hinter einer Kapelle befand. Sie reihten sich in die schier endlose Schlange ein. Plötzlich zuckte Agnes zusammen.
«Hörst du das?» Sie lauschte. «Da hinten, bei den Obstwiesen. Das sind Fideln und Schellentrommeln. Komödianten! Lass uns gleich hinübergehen.»
«Darf ich vorher noch einen Happen essen? Mich wundert, dass dir nach all diesen Anstrengungen noch nach Possenspiel und Akrobatik zumute ist.»
«Warum nicht? Jetzt, wo wir bald am Ziel sind. Lass uns nach dem Essen nachsehen, was es dort gibt.»
Ungeduldig wartete sie, bis Rudolf endlich seinen Napf ausgelöffelt hatte. Der Abend war mild und trocken, und es dämmerte bereits, als sie zu der Wiese hinübergingen. Vor einer Ansammlung schäbiger Karren zeigten drei Artisten in schreiend bunten Kostümen ihre bescheidenen Künste. Agnes kannte sie nicht. Ihre Freundin Lisbeth konnte sie auch nirgends entdecken. Enttäuschung machte sich in ihr breit, als die Akrobaten sich unter dem verhaltenen Applaus verneigten, und eine Stelzenfrau herumstakste, um den Obolus einzusammeln.
«Vom Feinsten sind diese Darbietungen nicht gerade», murrte Rudolf. «Sollen wir da überhaupt etwas geben?»
Agnes antwortete nicht. Sie starrte auf die weiß geschminkte Frau. Plötzlich stieß sie einen Schrei aus.
«Lisbeth!»
Die Gauklerin hob den Kopf, vollkommen überrascht, dann ließ sie sich von den Stelzen gleiten und rannte herüber. Im nächsten Moment lagen sich die beiden Frauen in den Armen.
«Meine Güte, Agnes. Ich kann es nicht glauben. Was machst du denn hier? Und wer ist das? Dein Mann?»
«Das ist Rudolf, ein – ein sehr guter Freund. Der beste, den sich eine Frau wünschen kann.»
Lisbeth reichte Rudolf die Hand. «Ich gebe rasch den andern Bescheid, schminke mich ab, und dann können wir uns zu einem Krug Bier zusammensetzen.»
Wenig später hockten sie abseits der Truppe unter einem Apfelbaum und berichteten gegenseitig, warum sie hier waren und wie es ihnen in den letzten Jahren ergangen war. Zu ihrer Bestürzung musste Agnes erfahren, dass Leonhard Sonntags Compagnie nur noch dem Namen nach existierte. Nach der großen Schlacht von Wimpfen hatten die Bayerischen den Tross überfallen und geplündert, Leonhard Sonntag und noch ein paar Männer seiner Truppe waren dabei ums Leben gekommen.
«Und Marusch?», fragte Agnes.
«Meine Mutter hat Vaters Tod nie verwunden. Sie ist nur ein halbes Jahr später der ungarischen Krankheit erlegen. Da hatte sich der Rest der Truppe vollends aufgelöst: Meine Brüder und Antonia sind in den Norden gezogen, und ich – ich hab mein Herz an einen Akrobaten verloren. An Magnus, du hast ihn vorhin gesehen. Magnus und sein Freund wollten den protestantischen Heeren folgen, und so bin ich mit ihnen – kreuz und quer durch das Reich. Die beiden hatten übrigens auch den Einfall, den alten Namen der Truppe zu übernehmen.»
«Und – habt ihr Kinder?»
«Nein, leider. Aber mitunter denke ich, das ist auch besser so.» Agnes betrachtete ihre Freundin. Das kräftige dunkelrote Haar hatte sie mit einem bunten Tuch zusammengebunden, genau wie einst ihre Mutter. Zwar waren Lisbeths blassem Gesicht mit den Sommersprossen auf der spitzen Nase die Entbehrungen der letzten Jahre deutlich anzusehen, doch ihre Augen leuchteten wie eh und je.
«Wart ihr denn in Nördlingen dabei? Eure Compagnie wirkt recht –»
Lisbeth lachte. «Schäbig und abgerissen, sprich es nur aus. Ja, wir waren bei dem Feldzug mit dabei, leider einmal mehr auf der falschen Seite, bei den Schwedischen. Bevor wir uns nach der Niederlage davonmachen konnten, waren die Trossweiber und Buben der Katholischen schon in unserem Lager. Sie haben uns sämtliche Maultiere geklaut und etliche Karren und
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