Die Gauklerin
Requisiten zerschlagen. Zwei von unseren Musikanten haben es nicht überlebt – jetzt liegen sie mit schwedischen Söldnern in der Grube.»
Lisbeth biss sich auf die Lippen.
«Aber warum zieht ihr den Kriegsvölkern denn hinterher, wenn das so gefährlich ist?»
«Ach Agnes, du hast wirklich keine Ahnung. Seit diesem vermaledeiten Krieg werden Fahrende nicht mehr in die Städte gelassen. Wo sollen wir unser Brot verdienen, wenn nicht bei den Soldaten? Aber jetzt bist du wieder dran. Du bist also auch einem Komödianten hinterher und deinem Sänger Hals über Kopf nach Stuttgart gefolgt.»
Agnes warf einen Seitenblick auf Rudolf. Der lächelte. «Ich denke, ich sehe nochmal nach der Vorstellung. Offenbar geht es jetzt weiter.»
Versonnen sah Agnes ihm nach. «Er ist ein guter Mann. Ich verstehe manchmal selbst nicht, warum ich ihn nicht heiraten mag.»
Dann erzählte sie in groben Zügen von ihren Anfangsjahren in Stuttgart und wie sie an den herzoglichen Hof gekommen war. Aufmerksam hörte Lisbeth ihr zu. Als die Rede auf Marthe-Maries Sturz kam, nickte Lisbeth.
«Es ist arg, wenn man nicht sterben kann. Eigentlich müsste ich dich für tollköpfig halten, hier durch die Kriegslandschaft zu ziehen und deine Brüder zu suchen. Aber ich kann dich verstehen. Und ein bisschen liegt dir das Herumvagabundieren ja auch im Blut, oder? Nur – was hast du jetzt vor, wo dir Matthes sozusagen entwischt ist?»
«Er kann nicht weit sein. Er ist der Nachhut irgendeines Regiments zugeteilt, Rudolf hat sich hoffentlich den Namen gemerkt. Dort werde ich ihn finden.»
«Und was ist mit deinem Gaukler? Hast du von dem je wieder gehört?»
«Kaspar? Der war wohl zu feige dafür. Er –» Agnes stockte. «Matthes ist ihm einmal begegnet, in seinem Tross, vor Jahren. Da hatte er eine neue Frau.»
«Dreckskerl! Am Ende hat er sich damals wegen diesem Weibsbild aus dem Staub gemacht. Hat eine hübsche junge Dirne seiner schwangeren Ehefrau vorgezogen.»
«Nein, so kann es nicht gewesen sein.» Agnes schüttelte entschieden den Kopf. »Die Frau hatte ihn nach einem Überfall gesund gepflegt und ist dann bei ihm geblieben. Die Marodeure haben ihm einen Fuß abgeschlagen.»
«Was?» Lisbeth riss die Augen auf.
«Nun ja, ich habe gehört, dass so etwas beim Beutemachen vorkommt.»
«Das – das meine ich nicht.» Lisbeth wirkte sichtlich verstört. «War dein Mann ein guter Lautenschläger?»
«Und ob. Dazu eine Stimme, die jede Frau verzaubert hat. Als Kaspar Goldkehl ist er aufgetreten. Ein ausnehmend schöner Mann, das war er.»
«Kaspar Goldkehl», wiederholte Lisbeth leise. «Der traurige Sänger, der niemals seinen Sohn gesehen hat. Seinen kleinen David.»
«Lisbeth, was redest du da? Du kennst meinen Mann?»
«Ich kenne Kasimir Vogelsang. Er war vor Jahren zu uns gestoßen. Hatte seine Frau im Kindbett verloren, worauf wir seine Schwermut zurückgeführt hatten. Später erfuhren wir dann, dass da noch etwas anderes war, dass er einen Sohn in Stuttgart hatte, den er niemals kennen gelernt hat. Doch er wollte nicht darüber reden. O mein Gott, Agnes –»
«Was ist?»
«Agnes, meine Liebe.» Lisbeth ergriff ihren Arm. Von der Obstwiese her drang schallendes Gelächter. «Kasimir Vogelsang ist einer der beiden Musikanten, die hier zu Tode kamen. Und er hatte unserem Prinzipal ein Päckchen übergeben für den Fall seines Todes. Ein Päckchen, das wir dann seinem Sohn David in Stuttgart überbringen lassen sollten. O mein Gott!»
Agnes brachte kein Wort heraus. Versuchte den Sinn der Worte zu verstehen, die sie eben gehört hatte. Sah plötzlich den liebevollen Blick aus Kaspars hellbraunen Augen vor sich, die Wärme in seiner Stimme, wenn er sie ‹Prinzessin› nannte. Dann verschwand das Gesicht wieder in grauem dichtem Nebel.
«Erzähl mir mehr von ihm», sagte sie schließlich tonlos. In ihren Augen standen Tränen.
«Ein merkwürdiger Mann. Hilfsbereit und großzügig, doch sehr verschlossen. Oft hatte ich den Eindruck, dass er die Todesgefahr geradezu gesucht hat. So auch hier in Nördlingen, als das Lumpenpack aus dem kaiserlichen Tross über uns herfiel. Jeder von uns hat die Beine in die Hand genommen, um wenigstens seine Haut zu retten. Er dagegen sprang wie ein Berserker vor unseren Karren herum, brüllte und schrie und schlug jeden der Angreifer, den er treffen konnte. Und das mit seinem Holzbein. Das konnte nicht gut gehen. Unser Trompeter, sein einziger Freund, wollte ihm zu Hilfe kommen. Sie
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