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Die Gauklerin

Die Gauklerin

Titel: Die Gauklerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Fritz
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hatte fliehen müssen, im Schutze einer Truppe fahrender Leute und verfolgt von einem Wahnsinnigen, der ihr, als vermeintlicher Hexentochter, nach dem Leben trachtete.
    Rudolf nahm in der Dunkelheit ihre Hand. «Du siehst doch, wie lange das alles zurückliegt. Gut, diese närrische Luise hat alles wieder aufgerührt. Aber es ist vorbei. Was hat das noch mit dir zu schaffen? Ich glaube jedenfalls nicht an Unholde und Hexenverschwörung.» Und als Agnes schwieg: «Du etwa?»
    «Ich weiß nicht. Ich frage mich oft, was hinter dem steckt, was wir sehen. Da müssen Welten existieren, die unser Auge nicht wahrnehmen, unser Verstand nicht begreifen kann. Wie sonstlassen sich Wunder erklären? Und wenn Menschen zu geheimnisvollen guten Kräften Zugang haben, gibt es wohl auch andere, die das Böse in ihren Dienst nehmen können.»
    «Mag sein. Aber was Hexerei betrifft, so weißt du selbst doch am besten, dass weder deine Mutter noch deine Ahn damit zu tun hatten. Also kann auch kein unheilvolles Erbe der Hexerei auf dir lasten.»
    «Aber vielleicht liegt der Erbfluch ja darin, der Hexerei verdächtigt zu werden. Wenn Luise nun tatsächlich überall ihre Lügen über mich verbreitet hat? Ihre ganze Sippschaft lebt hier. Wohin Leichtgläubigkeit und Niedertracht der Menschen führen können, das weiß ich nur zu gut.»
    «Jetzt vergiss doch einfach mal diese boshafte Närrin Luise. Morgen früh reiten wir weiter, und für die Reise zurück nehmen wir einen anderen Weg. Von Hexenprozessen hat man nun wirklich schon lange nichts mehr gehört. Heute braucht es als Sündenböcke eben keine Hexen mehr, heute darf man seinen ungeliebten Nachbarn ohne viel Federlesens gleich selbst erschlagen.»
    In dieser Nacht fand Agnes keine Hand voll Schlaf. Nicht nur, dass ihr Unterschlupf unbequem und kalt war – jeder Lufthauch, jedes Knacken und Rascheln ließ sie auffahren. So war sie froh, als endlich der Morgen dämmerte und sie ihre beschwerliche Reise fortsetzen konnten. Zum ersten Mal bezweifelte sie, dass sie den richtigen Entschluss gefasst hatte.

28
    Sie hatten es geschafft. Am Abend des vierten Tages erreichten sie das Ries vor Nördlingen, verdreckt, müde und ausgehungert.
    Auf Agnes’ Wunsch hin hatten sie jede Ansiedlung umgangen und sich ihren Weg durch verlassene Weinberge und späterdurch lichte Wälder gesucht. Hunger und Durst hatten sie notdürftig mit wilden Beeren, Kräutern und Quellwasser gestillt, bis sie endlich, kurz vor Aalen, auf einen Bauern gestoßen waren, der bereit war, ihnen gegen gutes Geld Brot und Käse zu verkaufen.
    «Wir müssen unseren Proviant auffüllen, geht das in Eurer Stadt, oder droht dort Gefahr?», hatte Rudolf den Mann gefragt.
    Der hatte laut gelacht. «Gefahr nicht, aber Brot werdet ihr wohl auch nicht bekommen. Nach der Schlacht vor Nördlingen ist auf dem Marktplatz ein schwedischer Pulverwagen explodiert. Der hat die halbe Stadt in die Luft gesprengt.»
    Daraufhin hatten sie eilig ihren Ritt fortgesetzt.
    Die letzte Wegstunde sprach Agnes kein Wort. Was würde sie in Nördlingen erwarten? Würde sie überhaupt etwas in Erfahrung bringen? Sie kamen von Westen, und darüber war sie froh, denn das Schlachtfeld des tausendfachen Todes lag im Süden der Stadt.
    Am Tor ließ man sie und Rudolf unbehelligt passieren, nachdem sie sich als Agnes Marxin, Schwester eines kaiserlichen Feldweybels namens Matthes Marx, ausgegeben hatte. Sie sah nicht nach rechts und nicht nach links, als sie sich durch das Gedränge in den Gassen schob, durch die Massen ausgemergelter und zerlumpter Menschen und waffenstarrender Soldaten, vorbei an der mächtigen Kirche aus hellgrauem Stein, die wie ein stummes Mahnmal in den Himmel ragte. Diese Stadt schien noch überfüllter zu sein als Stuttgart, ein Fuhrwerk hätte hier kein Durchkommen gefunden. Hin und wieder erblickte sie, jedes Mal erneut mit Schrecken, an Haustüren das Pestzeichen. Doch wenigstens lag diese Stadt nicht in Schutt und Asche.
    An der Pforte zum Spital mussten sie über Bettler und Krüppel hinwegsteigen, die sie mit flehenden Händen und Wehklagen bedrängten. Doch war das ein Geringes im Vergleich zu dem, was sie im Innern des Krankensaales erwartete. Die Siechen und Verwundeten lagen auf schmutzigem Bettstroh, manche auch aufdem blanken Holzboden, ihre nackten Arme und Beine waren von Läusen angefressen, eben wurde ein Toter hinausgeschleppt, es stank nach Branntwein, Eiter und Verwesung.
    Der Spitalknecht, der sie hereingeführt

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