Die Gauklerin
peinigte: Immer häufiger zuckte er zusammen, seine linke Hand hielt er unter dem Mantel verborgen.
«Was ist mit dir?», fragte sie.
«Meine Hand. Es hat sich entzündet. Unter den Nägeln.»
Sandor lenkte sein Pferd neben das von Matthes. «Zeig her.»
Die Fingerkuppen der linken Hand waren aufgesprungen und vereitert. Sandor fluchte.
«Dieser Hundsfott von Leutnant! Sieht das schon lange so aus?»
Matthes zuckte die Schultern. «Die Linke hat nie recht verheilen wollen.»
«Warum bist du damit nicht zu unserem Medicus?»
Als Matthes schwieg, sagte Agnes: «Wir brauchen heißes Wasser und einen Verband.» Sie konnte deutlich den Schrecken in Sandors Augen lesen.
«Wenn wir uns beeilen», sagte er, «erreichen wir die Mühle am Nesenbach noch heute Abend. Hältst du das durch?»
«Ja, sicher.»
Es war bereits dunkel, als sie das lang gestreckte, mit einer Mauer umgebene Gebäude erreichten. Sandor stieß einen leisen Pfiff aus. Ein Fenster ging auf.
«Wer da?»
«Sandor Faber.»
Kurz darauf öffnete sich das Tor und ein alter Mann, weißhaarig und mit krummem Rücken, ließ sie ein.
«Danke, Gevatter. Bin mal wieder unterwegs, nach langer Zeit.Meine drei Freunde müssen weiter nach Stuttgart, ihre Pferde lasse ich dir hier.»
Der Alte nickte nur und führte sie in die Küche. Das Feuer war schon am Erlöschen, doch auf dem Herd stand noch ein Kessel mit Suppe.
«Esst und trinkt. Schlafen könnt ihr nebenan. Du kennst dich ja aus, mein Junge.»
Er schlurfte zur Tür.
«Wartet, Gevatter. Dieser Mann hier hat eine böse Hand. Wir brauchen saubere Tücher.»
Der Alte hielt sich Matthes’ Finger dicht unter die Augen. «Wascht die Hand im warmen Wasser dort. Dann mach ich Euch einen Umschlag aus Arnika und Beinwell. Ob das viel hilft, kann ich nicht sagen. Womöglich hat der Brand hat schon hineingeschlagen.»
Während der alte Müller die Wunde versorgte, zog Sandor Agnes zum Fenster.
«Morgen vor Sonnenaufgang werde ich fort sein.» Er strich über den Ring an ihrem Finger und küsste zärtlich ihre Lippen. «Versprich mir eins: Zweifle nie daran, dass wir zusammenkommen.»
40
Agnes konnte es nicht fassen: Sie stand mit Mugge und ihrem Bruder vor dem verwitterten Lattenzaun, der inzwischen vollkommen von Brombeeren überwuchert war. Stumm betrachtete sie das verwahrloste Häuschen ihrer alten Freundin Else. Vor undenkbar langer Zeit war sie hier schon einmal gestanden, als junge Frau, um an der Seite Kaspars ihr eigenes Leben zu beginnen. Nun war sie heimgekehrt, der Kreis hatte sich geschlossen.
«Gehen wir hinein?», fragte sie mit belegter Stimme. Matthes nickte.
Als sie sich der Haustür näherten, vernahm sie Stimmengewirr. Eine fremde, tiefe Männerstimme war deutlich herauszuhören. Jetzt hörte Agnes sie voller Zorn rufen: «Raus mit euch, alle miteinander!» Da öffnete sich schon die Tür, und ein gutes Dutzend zerlumpter Weiber drängte keifend und schimpfend an ihnen vorbei, zuletzt die Wallnerin, ihre einstige Nachbarin. Ungläubig starrte die Magd sie an, und bevor Agnes fragen konnte, was das zu bedeuten hatte, war die Wallnerin auch schon durch das Hoftörchen verschwunden.
Agnes spürte ihren Herzschlag bis in die Schläfen, als sie das Halbdunkel des Raums betrat, in dem es seltsam nach Weihrauch roch. Mehr als ein Dutzend teurer Wachskerzen flackerte auf Fensterbrettern, Stützbalken und in den Ecken der Stube. Vor ihr stand ein junger Mann, der sie um einen ganzen Kopf überragte, mit kurz geschnittenem hellbraunem Haar und hellem Flaum auf der Oberlippe.
«David!»
Sie warf sich ihm in die Arme, lachte, weinte, bedeckte sein Gesicht mit Küssen, drückte ihn immer wieder fest an sich, wie um sich zu vergewissern, dass ihr Sohn leibhaftig vor ihr stand. Dann entdeckte sie das kleine silberne Kreuz an Davids Hals, und ihr Herz tat einen Sprung. Rudolf war also wohlbehalten zurückgekehrt, und David trug das Andenken seines Vaters. Sie würden einander so viel zu erzählen haben.
«Mutter», murmelte David immer wieder. Über sein Gesicht liefen die Tränen. Dann hob er den Kopf und sah zu Matthes, der mit seinem Reitknecht regungslos im Türrahmen verharrte.
«Du bist tatsächlich gekommen. So wie die Ahn es gesagt hat.»
Agnes ließ ihren Sohn los. Wie fremd, wie erwachsen seine Stimme geworden war. Sie zitterte, vor Freude und Anspannung. «Wo ist sie?»
David deutete auf den zugezogenen Vorhang. «Sie schläft.»
«Und Else? Wo ist Else?»
David senkte den Blick
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