Die Gauklerin
«Die Pest. Erst hat es Melchert getroffen, dann sie selbst. Aber sie hat nicht lange leiden müssen. Das Häuschen hat sie dir vererbt. Willst du die Urkunde sehen?»
«Nein.» Agnes ließ sich auf die Bank sinken. Plötzlich brachen Erschöpfung und Hunger über sie herein, und sie konnte sich kaum mehr aufrecht halten. Ihr Blick fiel auf einen Haufen Münzen mitten auf dem Tisch und einen gefüllten Weidenkorb, der vor dem Tisch auf dem Boden stand.
«David, mein Junge, bring uns Wasser und etwas Brot, wenn du welches hast.»
David zog ein Fläschchen Wein aus dem Korb und einen mächtigen Kanten Graubrot.
«Das ist von den Weibern», sagte er verächtlich. Dann setzte er leise hinzu: «Ich kann es immer noch nicht glauben.»
Matthes hatte sich aus seiner Erstarrung gelöst und trat mit seinem Burschen an den Tisch. Während er, ohne sich zu setzen, von dem Brot aß, warf er immer wieder unruhige Blicke auf den Vorhang. «Wie geht es ihr?»
«Sie ist sehr schwach.» David wischte sich die Tränen aus dem Gesicht. «Wie gut, dass du zurück bist – dass ihr zurück seid. Wer ist der Junge? Er soll sich setzen und essen und trinken.»
Verlegen hockte sich Mugge auf den äußersten Rand der Bank. Agnes schob ihm die Flasche Wein hin und wollte eben fragen, was die Wallnerin und diese Frauen hier zu schaffen hatten, als hinter dem Vorhang ein Husten zu hören war.
«Sie ist wach!» David sprang zur Tür. «Ich laufe ins Schloss und hole Jakob.»
«Jakob?», riefen Agnes und Matthes gleichzeitig.
«Ja. Hoffentlich lassen sie ihn her. Er ist immer noch Gefangener der Kaiserlichen.» Er rannte hinaus.
Agnes sah ihren Bruder an. «Dann hat also gestimmt, wasdieser Bäcker in Waiblingen gesagt hat.» Sie begann lautlos zu weinen. «Jetzt sind wir alle beisammen. Es ist wie ein Traum, der sich endlich erfüllt hat. Aber warum hat Rudolf ihn nicht freigekauft?»
«Komm.» Matthes nahm sie bei der Hand. Sie spürte die Hitze, die von seinem Körper ausging, er hatte Fieber. Langsam zog er den Vorhang zurück. Vor ihnen lag, wie eine überirdische Erscheinung, ihre Mutter, bleich und abgemagert bis auf die Knochen, die Augen geschlossen, das offene Haar wie frisch gefallener Schnee um ihr eingefallenes Gesicht gebreitet.
«Mutter?» Agnes kniete vor das Bett und streichelte ihre Wangen. Die Haut war wie Pergament. «Hörst du mich? Matthes ist gekommen. Er ist aus dem Krieg zurück.»
Marthe-Marie rührte sich weder, noch öffnete sie die Augen. Da kniete sich Matthes an die andere Seite des Bettes und legte seinen Kopf auf ihre Schulter. Die Hand ihrer Mutter zuckte, dann tasteten die Finger nach Matthes’ dunklem Haar. So fand Jakob sie kurze Zeit später. Wortlos nahm er seine Schwester in die Arme, so fest, dass Agnes fast die Luft wegblieb. Bald fünf Jahre hatten sie sich nicht gesehen, und nun war aus dem schmächtigen kleinen Bruder ein kräftiger Mann geworden, mit gesunden roten Wangen und gepflegtem Äußeren. Matthes und ich sehen dagegen aus wie hergelaufenes Lumpenpack, fuhr es ihr durch den Kopf. «Willst du nicht Matthes begrüßen?», flüsterte sie ihm ins Ohr.
Stumm nickte Jakob seinem Bruder zu, dann setzte er sich neben Matthes auf den Bettrand. In seinen Blick trat der nüchterne Ernst des Arztes. «Du scheinst Fieber zu haben. Was ist mit deiner Hand?»
«Später. Sag mir erst, wie es um unsere Mutter steht. Kann sie nicht sprechen?»
«Doch. Aber es strengt sie sehr an.»
In diesem Moment bewegte Marthe-Marie die Lippen. Kaum hörbar kamen ihre Worte: «Der Herrgott hat mich erhört.»
Sie saßen zusammen bis in den Abend. Tisch und Bänke hatten sie neben das Bett gerückt, um Marthe-Marie ganz nah zu sein, immer wieder setzte sich einer von ihnen an ihre Seite, um mit ihr zu sprechen oder ihre Hand zu halten. Jakob hatte seinem Bruder einen Aufguss gebraut, um das Fieber zu senken, und bereits nach kurzer Zeit wirkte Matthes’ Blick klarer. Ansonsten hatten die beiden kaum ein Wort gewechselt.
Agnes erfuhr, dass Rudolfs Rückkehr ohne sie für helle Aufregung gesorgt hatte. Sein Versuch, Jakob freizukaufen, war übrigens daran gescheitert, dass ihr Bruder sich geweigert hatte, auch nur einen Pfennig von ihren Ersparnissen anzunehmen.
«Mir erging es ja bei den Kaiserlichen von Anfang an recht gut, als angesehener Arzt», erklärte Jakob. «Oberst Ossa war und ist auf meine Dienste angewiesen. So war mir wichtiger, dass Mutter und David versorgt sind.»
Dann erzählte David,
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