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Die Gauklerin

Die Gauklerin

Titel: Die Gauklerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Fritz
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Empfehlungen der Tübinger Professoren richten, die sie in ihrem Büchlein gegen die Pestilenz vor einigen Jahren niedergeschrieben haben. So werde ich veranlassen, dass die Häuser der Pesttoten vom Keller bis zum Dachboden gereinigt werden müssen und an alle Bewohner Rauchpulver und Rußpflaster verteilt werden sowie ätherische Öle zum Ausstreichen der Arme.
    So viel für heute, es dämmert bald, und ich muss zu unserer Mutter. Wie schwer ist mir jedes Mal ums Herz, wenn ich diesen Gang in die Vorstadt antrete.
    Als Agnes erwachte, war der Platz neben ihr leer. Enttäuscht stand sie auf. Sie hatte gehofft, an diesem ihrem letzten Morgen gemeinsam mit Sandor aufzuwachen, mit geschlossenen Augen noch ein wenig zu träumen, seiner Stimme zu lauschen, seine Haut zu spüren.
    Nachdem sie sich in aller Hast gewaschen und angekleidet hatte, nahm sie ihren Reisebeutel, den sie am Vortag gepackt hatte, und ging hinunter in die Küche. Matthes und Mugge saßen am Tisch beim Essen.
    «Hat jemand Sandor gesehen?»
    Käthe stellte ihr einen Napf voll Milchbrei hin. «Er war schon in aller Herrgottsfrühe hier. Ich glaube, er wollte noch zum Kommandanten.Jetzt stärkt Euch erst mal, Ihr werdet es brauchen.»
    «Ach Käthe, ich bringe keinen Bissen hinunter.»
    Nicht nur der Schmerz des Abschieds von Sandor schnürte ihr die Kehle zu, es war auch die Angst vor den Gefahren auf der Reise. Sie tastete nach dem Holzpferdchen, das sie wieder in ihren Rocksaum eingenäht hatte. Halte Wort und bring mich zurück zu David, dachte sie. Auch wenn ich die Hälfte meines Herzens zurücklassen muss.
    Die Wirtschafterin legte ihr für einen Augenblick die abgearbeitete, rissige Hand auf den Arm.
    «Denkt nicht an den Abschied. Denkt daran, dass Ihr bald zu Hause sein werdet.»
    «Wenn es nur schon so weit wäre. Zehn Tagesritte werden es wohl sein, hat der Kommandant gemeint. Und das auch nur, wenn nichts dazwischen kommt.»
    «Es wird nichts dazwischenkommen.» Käthe ging wieder zum Herd. «Nicht, wenn Euer Herr Bruder und sein tapferer Bursche dabei sind.»
    «Das will ich meinen.» Mugge grinste. «Zumal uns der Adjutant ausführlichst unterrichtet hat, was geboten ist und was nicht auf solch einer Reise.»
    «Er hält uns eben für Waschweiber», knurrte Matthes.
    «Seid nicht ungerecht.» Agnes dachte daran, wie sich Sandor am Vorabend zu ihnen in die Küche gesetzt und aus seinem Erfahrungsschatz als reitender Kurier erzählt hatte. Es gebe ein paar schlichte und doch lebensnotwendige Regeln, um unbehelligt zu reisen. Handels- und Fahrstraßen seien zu meiden, ebenso dichte Wälder, da dort keine Flucht zu Pferde möglich sei. Am besten reite man querfeldein und richte sich wie ein Seefahrer nach Sonne und Sternen. «Um Höfe und Siedlungen macht einen großen Bogen.» – «Und wenn wir Proviant brauchen?» – «Es gibt Geheimzeichen, Hinweise von Schnapphähnen und Wegelagerern,die verraten, ob ein Ort besetzt ist oder verlassen. Mitunter täuschen die Bewohner auch vor, dass ihr Dorf unbewohnt ist. Sie heben Türen und Fenster aus den Angeln und verstecken ihr Vieh mit verbundenem Maul in Erdlöchern.»
    Sandor hatte nicht aufgehört zu reden und zu reden; es war, als wolle er mit seinen Worten das Unvermeidliche aufhalten.
    «Machen wir uns auf den Weg.» Matthes erhob sich. «Höchste Zeit.»
    Im Burghof standen ihre Pferde schon bereit. Es waren herrliche Tiere, gepflegt und trotz des vorangegangenen Winters gut im Futter. Nahe bei Stuttgart sollten sie sie bei einem Müller abgeben, der für die herzoglichen Kuriere arbeitete. Neben dem Pferdeknecht warteten Widerhold und der Arzt. Von Sandor war nichts zu sehen. Warum wich er ihr aus? Wie konnte er sie allein lassen an diesem letzten Morgen?
    «Ich muss Sandor finden.» Sie drückte ihrem Bruder den Beutel in die Hand und wollte eben zum Portal des Burgschlosses laufen, da sah sie ihn aus den Stallungen treten, ein gesatteltes Pferd am Zügel.
    «Was hast du vor?», fragte sie verwirrt, als er vor ihr stand, mit geröteten Wangen und lachendem Gesicht.
    «Ich begleite euch bis Stuttgart. Heute Morgen endlich hat Widerhold mir die Erlaubnis hierzu gegeben.»
    Eine Stunde später ritten sie durch das erste zarte Grün dieses Frühjahrs. Der Tag versprach sonnig und mild zu werden, und Agnes hatte alle Angst vor der Reise verloren. Sie konnte es noch immer nicht fassen, dass Sandor neben ihr ritt.
     
    Sie kamen stetig voran, zogen geradewegs nach Norden, quer über die

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