Die Gauklerin
tonlos.
Marthe-Marie hatte bei diesem lauten Wortwechsel zu stöhnen begonnen.
«In diesem Haus will ich nie wieder etwas über den Krieg hören, habt ihr verstanden?», sagte Agnes schneidend und eilte an die Seite ihrer Mutter, um sie zu beruhigen. «Nicht in meinem Haus», fügte sie hinzu und musste plötzlich lächeln. Ihr Haus – was für einen Klang diese Worte hatten. Sie gab ihrer Mutter einen Kuss auf die Wange.
«David, hast du noch deine Flöte? Mach ein bisschen Musik, wir haben unser Wiedersehen noch gar nicht richtig gefeiert.»
«Den Selbstgebrannten hab ich gestern leider leer gesoffen.» Matthes grinste schief.
«Ich wüsste, wo ich ein Fässchen Bier auftreiben könnte», sagte Jakob.
«Darauf hätte ich wetten können.»
«Spotte du nur, Schwesterherz. Aber in diesen Zeiten gibt es nur eines, und das solltet ihr euch alle zu Eigen machen: Carpe diem.»
Damit war er zur Tür hinaus.
«Was bedeutet das?», fragte Matthes.
«Nutze den Tag.» Alle blickten erstaunt zu Marthe-Marie, die klar und deutlich, wenn auch sehr leise, gesprochen hatte. Um ihre dünnen Lippen spielte ein Lächeln.
«David, weißt du, wo Rudolf wohnt?», fragte Agnes.
Der Junge nickte.
«Dann lauf und hole ihn. Es wird Zeit, dass ich ihn wiedersehe.»
Wenig später kehrte erst Jakob, dann David zurück. Rudolf brachte zu ihrer Überraschung eine junge Frau mit, die Agnes flüchtig von früher kannte. Trotzdem fiel Agnes ihm um den Hals, als seine lange, hagere Gestalt im Türrahmen erschien.
«Ach, Rudolf – ich bin so froh, dass dir nichts zugestoßen ist.»
«Was soll ich da erst sagen.» Er strahlte. «Ich habe mir Tag und Nacht Vorwürfe gemacht, dass ich dich hab gehen lassen. Bis heute jedenfalls, denn wie ich sehe, hast du wieder mal dein Ziel erreicht.» Sein Blick fiel auf ihren Fingerring, doch er sagte nichts. Stattdessen trat er auf Matthes zu.
«Ich nehme an, Ihr seid Matthes Marx.»
«Ja. Matthes, der Einhändige.»
Erschrocken sah Rudolf auf dessen verbundenen Arm, doch Matthes winkte ab. «Besser als einbeinig. Ist das Eure Frau?»
Rudolf errötete. «Meine Braut. Sie heißt Mariann.»
Jetzt erinnerte sich Agnes. Mariann war eine Winzertochter und bereits vor ihrer Reise nach Nördlingen Kriegswitwe geworden, nach gerade einem halben Jahr Ehe. Eine etwas schüchterne, zerbrechliche junge Frau, die aber, wie es hieß, das Herz auf dem rechten Fleck habe. Agnes freute sich aufrichtig für Rudolf. Jetzt hatte er ein Mädchen, das er beschützen und umsorgen konnte.
Sie feierten bis weit in die Nacht, musizierten und tanzten, sangen und lachten, vergaßen für diesen einen Abend die hässliche Fratze des Krieges, die Gräuel, die jeder von ihnen erlitten hatte. Einen Vorteil hatten die Zeiten denn doch: Früher hätte längst der Nachtwächter gegen die Tür gehämmert, aber nun schien ein bisschen fröhlicher Lärm zur Nacht niemanden zu stören.
Hin und wieder hatte Agnes Marthe-Marie gefragt, ob ihr das laute Treiben zu viel würde, doch die hatte jedes Mal nur gelächelt. So lag ihre Mutter inmitten der Feiernden, mal mitoffenen, mal mit geschlossenen Augen, und schien das Fest zu genießen. Einmal winkte sie Agnes zu sich und fragte, ob Rudolf sie nicht mehr zur Frau wolle.
«Nein, Mutter. Er hat jetzt eine neue Braut. Und ich habe Sandor gefunden. Er kommt bald nach Stuttgart. Er wird dir gefallen.»
Auch am nächsten Tag blieben sie alle beisammen, nur hin und wieder verließ einer von ihnen das Häuschen, um etwas zu essen aufzutreiben. Die fröhliche Stimmung vom Vorabend wollte indessen nicht wieder aufkommen. Es war, als ahnte jeder von ihnen, dass Marthe-Maries Zeit gekommen war. Dabei wirkte sie zufriedener und aufmerksamer denn je, als wolle sie jeden Augenblick auskosten.
Gegen Abend bat sie David und ihre Kinder ans Bett.
«Es ist so weit», sagte sie nur.
Matthes schickte Mugge nach dem Pfarrer von Sankt Leonhard, dann kniete er sich neben das Bett seiner Mutter.
«Wirst du wieder mit den Soldaten ziehen?», fragte sie ihn.
Matthes sah auf seine Hände. Betrachtete erst den Verband über dem Stumpf der Linken, dann seine unversehrte Rechte mit solchem Widerwillen, als klebe immer noch Blut daran. Er schüttelte den Kopf: «Nein, Mutter.»
«Was hast du vor?»
«Ich weiß es nicht. Aber diesmal wird Gott mir den Weg zeigen.»
«Und du?» Sie nahm Jakobs Hand.
«Ich gehe fort, in die freien Niederlande. Matthes hat Recht, ich sollte mir meinen Traum erfüllen und
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