Die Geächteten
spannte sich unter der Lederjacke, die er trug. Seine Augen, das sah sie, waren von einem erstaunlichen Aquamarin und hatten Ähnlichkeit mit zwei exotischen Fischen, die in einem gelben See schwimmen. Sie bewegten sich von ihr zu dem Angestellten und wieder zurück, um die Situation zu erfassen. »Sind Sie in Ordnung?«, fragte er. Seine Stimme war unerwartet weich und fein.
Sie blieb direkt vor ihm stehen. »Ja, vielen Dank«, sagte sie mit bebender Stimme. »Ich danke Ihnen wirklich sehr.«
Der Fremde neigte den Kopf und musterte sie. »Er hat Sie nicht angefasst oder Sie in irgendeiner Form verletzt?« Da hörte ihn Hannah, diesen tief sitzenden, kaum kontrollierbaren Zorn, der, wie sie wusste, nicht allein gegen Farooq gerichtet war, sondern gegen alle, die Verchromte schikanierten und ihre Verletzlichkeit missbrauchten, weil sie davon ausgehen konnten, relativ straffrei davonzukommen. Sie spürte denselben Zorn in sich aufsteigen und stellte sich vor, wie die gelben Fäuste des Fremden wieder und wieder in das Gesicht des Angestellten schlugen und es in Brei verwandelten. Sie schüttelte den Kopf, um dieses grässliche Bild zu vertreiben. »Nein, wirklich, es geht mir gut.«
»Gut«, sagte der Mann und wurde lauter, damit Farooq ihn hören konnte. »Schätze, er hat heute seinen glücklichen Tag.« Er blickte über die Schulter und warf dem Angestellten einen tödlichen Blick zu. Hannah drehte sich um und sah, wie dieser einen Schritt zurückwich. Der Fremde ließ den Motor aufheulen, und Farooq machte einen Satz. Er schien fuchsteufelswild zu sein, denn er schwang drohend seine Fäuste und hüpfte rasend von einem Fuß auf den anderen.
»Verdammte Verchromte, ihr seid Hundescheiße! Ihr seid so dreckig wie der Boden, auf dem ihr steht. Verlasst mein Grundstück, oder ich rufe die Polizei.«
Hannah warf ihrem Retter einen letzten, dankbaren Blick zu, dann hetzte sie zum Lieferwagen, ohne den wetternden Angestellten weiter zu beachten. Der Fremde wartete, während sie mit ungeschickten Händen das Kabel losmachte. Sie stieg in den Lieferwagen und startete ihn, und er fuhr neben ihr her. Sie ließ das Fenster herunter. »Sie geben jetzt besser auf sich acht«, sagte er.
Sie sah in sein gelbes Gesicht und fragte sich, für welches Verbrechen er angeklagt worden war. Was immer es gewesen war, sie hatte ihm dafür gerade die Absolution erteilt. »Sie auch«, sagte sie, und dann war sie überrascht, sich die Worte sagen zu hören: »Gott schütze Sie.«
»Sie fahren ungleichmäßig«, warnte der Lieferwagen und korrigierte zum dritten Mal innerhalb von zwanzig Minuten Hannahs Lenkung. Sie hatte nur noch eine Stunde bis zum Sonnenaufgang, doch sie kämpfte bereits jetzt mit der Müdigkeit. Angesichts dessen, dass sie es sich nicht leisten konnte, die Aufmerksamkeit anderer auf sich zu ziehen, verließ sie in Greensboro die Autobahn und parkte auf dem Parkplatz eines Geschäftes, das rund um die Uhr geöffnet hatte. Sie schlief schlecht, die Kälte machte ihr zu schaffen, und Albträume quälten sie. Bei jedem noch so kleinen Geräusch schreckte sie hoch. In dieser Nacht, als sie hinter einem Busch irgendwo in Virginia gekauert hatte, war ihr in den Sinn gekommen, wie leid sie es doch war, sich schwach und ängstlich zu fühlen und immer vorsichtig zu sein. Sie hatte seit dem Zwischenfall mit Farooq öffentliche Haltestellen gemieden, sie hatte ihr Geschäft im Wald erledigt oder auf Wiesen hinter verlassenen Scheunen. Inmitten von zirpenden Insekten, quakenden Fröschen, raschelnden Zweigen und abgestorbenen Blättern hatte sie gehockt. Solche Naturgeräusche war sie nicht gewohnt, doch sie machten ihr keine Angst. Vielmehr beruhigten sie sie.
Sie war von der Schönheit der zunehmenden Weite angetan, die sich zwischen den Städten erstreckte, durch die sie fuhr – die Landschaft hier war so anders als die flachen, endlosen, identischen Außenbezirke im Norden von Texas. Sie war entzückt von den Wäldern in North Carolina und von der majestätischen Größe des Appalachen-Gebirges im Westen, das in Abständen vom Licht der Straßenschilder und vom Glanz der Städte erleuchtet wurde. Sie sehnte sich danach, dieses Land bei Tageslicht zu sehen, doch sie wusste, dass dies nie geschehen würde. Sie dachte an die Wälder in Kanada und nahm sich vor, diese zu besuchen und sich womöglich irgendwo dort niederzulassen. Sie hatte die Nase voll von Menschen, vom Gestank und Lärm, den sie machten, wenn sie sich in
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