Die Gebeine von Avalon
lächerlich, dass ich die genaue Zahl kannte. Die meisten der Bücher waren überall im Haus meiner Mutter verteilt, und mein Ziel war es, dort anzubauen, sobald ich das Geld aufbringen konnte, um Platz für Tausende weitere wichtige Werke zu schaffen.
«John …» Die Königin, deren Stimmungen wechselhaft waren, sah mir nun mit einer gewissen Besorgnis in die Augen. «Ihr wirkt müde.»
«Ich arbeite viel, Euer Hoheit, das ist alles.»
«Woran? Darf ich fragen?»
Die Königin war seit jeher fasziniert von den Dingen, die nicht von dieser Welt waren, und wir befanden uns außer Hörweite ihres Gefolges. Sie und ich, allein im von einer Mauer eingefassten Obstgarten meiner Mutter, kaum zwanzig Schritt vom Themseufer entfernt, die Sonne ließ die mit Eisperlen besetzten Zweige der Apfelbäume glitzern.
Idyllisch, abgesehen von den Pikenieren, die den Eingang bewachten. Die verdammten Pikeniere konnte man einfach nicht abschütteln.
«John, im letzten Jahr haben wir über die Kabbala gesprochen. Ihr habt mir gesagt, dass die alte Mystik der Juden uns helfen könnte … in die geheimsten Kammern des Himmels zu blicken.»
Ich zögerte. Meine derzeitige Forschung hatte zum Teil tatsächlich ihre Grundlage in den reichen und komplexen hebräischen Systemen, durch die man eine Verbindung zu höheren Reichen herstellen konnte. Und, ja, mein – nie verheimlichtes – Ziel war es, herauszufinden, zu welchem Grad alles Irdische, die Zusammensetzung und Essenz unserer Welt göttlich geordnet sind. Ich suchte nun nach einem Code oder vielleicht auch einem einzigen Symbol, das diese Beziehung erklären und definieren sollte. Doch es würden noch eine ganze Menge Kerzen des Nachts herunterbrennen, bis ich so weit sein würde, meine Erkenntnisse zu veröffentlichen und jene mystische Glyphe auf das Deckblatt zu bringen.
«Euer Hoheit –»
«Seid Ihr bereits in der Lage, zu den Engeln zu sprechen, John?»
Nach den religiösen Turbulenzen der letzten zwanzig Jahre war es von höchster Bedeutung für die Königin, dass jedwede Verbindung zu einer spirituellen Hierarchie unter ihrer absoluten Kontrolle stand. Daher antwortete ich überlegt und vorsichtig.
«Jeder von uns kann
zu ihnen
sprechen. Damit die Kabbala uns weiterbringt, denke ich allerdings, dass wir sie als Teil der christlichen Tradition interpretieren müssen.»
«Das ist sicher ein
sehr
guter Ansatz, aber» – die Königin hatte ihre Finger miteinander verflochten und schüttelte sie jetzt, als versuche sie einen entscheidenden Gedanken herauszulösen – «gibt es denn nicht auch eine
englische
Tradition, John?»
«Um mit den Engeln in Kontakt zu treten?»
«Nun …» Ein schnelles ungeduldiges Kopfschütteln, die Hände öffneten sich. «Ja.»
Eine interessante Frage von einer gebildeten Frau, die Antwort allerdings war nicht ungefährlich.
«Der christliche Glaube ist nicht englischen Ursprungs, wie Eure Hoheit ja weiß, daher –»
«Sollte ich dann besser von einer
britischen
Tradition sprechen und nicht von einer englischen, da Ihr und ich unsere Wurzeln in Wales haben?»
Geboren und aufgewachsen in England, hatte ich mich nie als ausgesprochenen Waliser betrachtet, obwohl mein Vater mir – und jedem anderen, der ihm zuhörte – ständig gepredigt hatte, welch großartiges sprachliches und kulturelles Erbe wir besaßen. Um ihm einen Gefallen zu tun, hatte ich etwas Walisisch gelernt und mir vorgenommen, mich mit beidem zu beschäftigen, für den Fall, dass er recht hatte. Allerdings …
«Nach allem, was wir darüber wissen, war die religiöse Tradition der Waliser – das heißt, die Tradition der Barden und Druiden – im Wesentlichen keine christliche.»
«Hat sie sich denn verändert, nachdem die christliche Botschaft unsere Gestade erreichte? Oder als, wie es heißt, unser Herr Jesus selbst nach England kam?»
«Ähm … Ich bitte um Vergebung?»
«Mit Josef von Arimathäa. Seinem Onkel.»
«Oh.»
«Das müsst Ihr doch wissen …»
«Natürlich. Das heißt, ich habe jedenfalls davon gelesen.»
«Dann habt Ihr also Bücher darüber … in Eurer Bibliothek?»
«Hm … möglicherweise. Also … ja, doch, habe ich.»
«Und Artus? Was ist mit dem?»
«Art…?»
«
König
Artus?» Ein Lächeln. «Unser königlicher Vorfahr?»
«Ah, der, natürlich. Mehrere sogar.»
«Diese Bücher möchte ich sehen», sagte die Königin.
«Selbstverständlich. Es wäre mir –»
Ihr Körper zuckte plötzlich heftig, als hätte
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