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Die Gebeine von Avalon

Die Gebeine von Avalon

Titel: Die Gebeine von Avalon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Phil Rickman
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auf und strich den Rock ihres Kleides glatt. «Heute ist das offensichtlich anders.»
    «Blanche bildet sich etwas auf ihre Stellung bei Hofe ein. Es hat nichts mit dir zu tun. Ich bin es, zu dem sie kein Vertrauen hat.»
    «In ihren Augen beschützt sie damit die Interessen und das Wohl der Königin.»
    «Sie fürchtet auch die Fortschritte der Wissenschaft.»
    Meine Mutter, Jane Dee, sah aus, als hätte sie in eine Zwiebel gebissen.
    «Was?», fragte ich.
    «Meinst du etwa, Mistress Blanche würde das
Wissenschaft
nennen?»
    «Vielleicht nicht.»
    Ich wich dem Blick meiner Mutter aus und musterte stattdessen die Wand. Dort blätterte die Farbe ab, und der rote Brokatbezug des Sessels, auf dem meine Mutter saß, war abgenutzt und alt. Mir fiel auch auf, dass ihr braunes Kleid am Ärmel an zwei Stellen geflickt war.
    Sie hatte nicht danach gefragt, was die Königin gesagt hatte oder was der Grund für ihren Besuch gewesen war. Ich hätte ihr sagen können, dass Elisabeth bekanntermaßen ein häufiger und teurer Gast in einigen der vornehmsten Häusern war und kaum eines betreten würde, das so auffällig dahinter zurückstand. Und zwar, da war ich sicher, weil sie sich unserer Armut bewusst war und darauf Rücksicht nahm.
    Und deshalb schämte ich mich. Ich war das einzige Kind meiner Mutter und hätte besser für uns sorgen müssen. Mein Vater hatte mir die beste Ausbildung angedeihen lassen, die seine Mittel ermöglichten. Ich hätte Bischof werden können oder sogar Advokat, wofür mein Studium mich befähigt hätte, anstatt … das, was nun auch immer aus mir geworden war.
    Der Fluss schimmerte trüb, voller Wassertiere und zweifellos auch menschlicher Leichen, die in den Exkrementen der Stadt schwammen. Die Sonne wirkte fahl und hart wie Marmor.
    Zauberer
hießen mich manche, sobald ich ihnen den Rücken zuwandte, und andere sogar, wenn ich es nicht tat.

III Von dort wird er kommen
    S tatt als gemeinen Geisterbeschwörer kann man einen Zauberer in unseren aufgeklärteren Zeiten auch als jemanden betrachten, dessen Kunst die Illusion ist. Darin habe ich mich erprobt und fand es durchaus amüsant. Ich baute einen gigantischen Käfer, der durch einen komplizierten Mechanismus und den geschickten Einsatz von Licht und Schatten durch die Luft zu fliegen schien. Viele Tage verbrachte ich mit seiner Herstellung, und viele Stunden sonnte ich mich in der Ehrfurcht und Verblüffung, die ich damit hervorrief.
    Daran war nichts verkehrt. Ich war noch ein Junge, und der Käfer flog nicht im eigentlichen Sinne. Nicht wie ein Vogel fliegt – oder ein Engel.
    Jetzt aber bin ich ein Mann und weiß mehr von der wahren Natur der Engel. Allerdings verstehe ich, dass Männer wie Sir William Cecil besser mit dem zurechtkommen, was für sie eindeutig Illusion ist, selbst wenn sie nicht wissen, wie sie funktioniert.
     
    †
     
    Kein Frost, nur sporadischer Regen, als ich am folgenden Tag am Steg von Mortlake den Kahn bestieg, der mich zur festgesetzten Unterredung bringen sollte. Tiefhängende, rußgeschwärzte Wolken, durchbohrt von hundert Turmspitzen, die höchste von ihnen St. Paul’s im Westen.
    Hinter der dampfenden Kloake von Southwark mit seinen Bärengruben, Hahnenkampfarenen, Bordellen, Spielhöllen und dem Theater fuhren wir in die Stadt ein. Die aufgespießten Köpfe von Verbrechern und Verrätern auf der London Bridge fielen mir gar nicht mehr auf; nun, da Hinrichtungen von Mitgliedern höherer Stände weniger häufig vorkamen, waren diese von Krähen zerhackten Schädel eher eine groteske Attraktion für Besucher der Stadt als eine einschüchternde Warnung für ihre Bürger.
    Was Cecils neues Stadthaus anging … ich wusste bisher nur, dass es am sogenannten Strand gelegen war, wo viele einflussreiche Männer der Kirche residierten. Aber ein Fährmann ist so etwas wie ein Ortsverzeichnis zu Wasser, und meiner wusste genau, wann er uns ans Ufer bringen musste, und zog vor einer neugebauten Steintreppe die Ruder ein.
    «Ist nicht grad das größte Haus hier», sagte er. «Aber der hat da noch so einiges vor.»
    «Ist der Staatssekretär etwa ein persönlicher Freund von dir, oder woher weißt du so genau über seine Pläne Bescheid?»
    Sofort wurde mir klar, wie sich das anhören musste, und ich bereute meine Worte. Obwohl mich dieser Mann bestimmt schon sieben Mal oder öfter in seinem Kahn befördert hatte, fand ich es noch immer schwierig, mit ihm höfliche Nichtigkeiten auszutauschen.
    Der Fährmann grinste nur.

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