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Die Gebeine von Avalon

Die Gebeine von Avalon

Titel: Die Gebeine von Avalon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Phil Rickman
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waren ungefähr ein Dutzend Männer, die vor, neben und hinter dem Karren ritten. Auf dem Karren saß eine gebrochene Gestalt.
    Mir war, als würde ein Berg über mir einstürzen.
    Der Karren rumpelte unbeirrt weiter. Ich ging auf ihn zu, und als hätte eine dunkle Macht von mir Besitz ergriffen, begann ich, rasend vor Entsetzen, neben ihm her durch den Regen zu laufen. Arme griffen nach mir, aber ich wehrte sie mit dem Ellenbogen und der Kraft der Verzweiflung ab.
    «Wer bist du, Bursche?», verlangte eine Stimme zu erfahren.
    «Ein Beamter aus London», rief Lederwams. «Er denkt, er sei –»
    «
Wohin
wollt ihr?», rief ich zum Karren hinüber.
    Ich sah, dass man sie in Ketten gelegt hatte, eine dicke Frau an ihrer Seite. Ihr Gesicht war bleich, ihre Miene versteinert. Sie trug keinen Umhang, das Haar hing in Strähnen herab. Ihre Arme waren entblößt. Sommersprossen und Gänsehaut.
    «Anhalten!»
    «Sagt wer?»
    «Ich bin ihr Advokat.»
    Gelächter hallte durch den Regen.
    «Dafür ist es ein bisschen spät, Bursche. Wir bringen sie zurück.»
    Einen kurzen, unsicheren Moment lang hoffte ich, man habe sie freigelassen. Dann sah ich wieder auf die schweren Ketten und erkannte in dem Reiter, der auf mich hinabsah, Bruder Stephen, Fyches Sohn. Heute war er nicht in eine Mönchskutte gekleidet, sondern in ein burgunderfarbenes Wams und ein kurzes Cape, und dazu trug er einen breitkrempigen schwarzen Hut.
    Ich klammerte mich an die hölzerne Seitenwand des Karrens, blickte zu Nel Borrow auf, und für einen flüchtigen Wimpernschlag kreuzten sich unsere Blicke. Ich sah noch, wie sich ihre Augen weiteten, bevor mir die Arme auf den Rücken gedreht wurden und mich eine Schwertspitze an der Kehle kitzelte. Stephen Fyche stieg vom Pferd.
    «Nein, nein.» Er gab einen Wink, das Schwert zu senken. «Das ist doch nur ein harmloser Beamter. Ihr erschreckt ihn noch zu Tode.»
    Ich wurde zurückgestoßen und keuchte. Der Karren rollte weiter. Stephen Fyche stand mit ausdruckslosen Augen vor mir.
    «Ich verstehe das nicht. Die Verhandlung kann doch noch nicht vorüber sein.»
    «Welche Verhandlung?»
    Er trug jetzt Bart, was seinem Gesicht etwas Wölfisches verlieh.
    «Es ist mir bewusst, Dr. John, dass Ihr diesem Weib gegenüber ein gewisses Wohlwollen hegt, weil sie Euren Freund geheilt hat. Wie ich sehe, ist er wieder vollständig genesen. Dafür seid Ihr natürlich dankbar.»
    Ich schwieg.
    «Allerdings gibt es für Euch in dieser Sache nichts mehr zu tun», sagte er ruhig. «Das Weib hat sich entschieden, uns die Unannehmlichkeiten einer Verhandlung zu ersparen, und ein Geständnis abgelegt. Sie ist im ersten Morgengrauen vor dem Richter erschienen, um das Urteil zu empfangen.»
    Er warf einen Blick auf den Karren, der sich hinter ihm rumpelnd entfernte.
    «Wie Ihr Euch vorstellen könnt, hat es nicht lange gedauert.»

XLVIII Schwarze Beulen
    M ein Gelächter, falls es denn ein Lachen war, musste halb irre geklungen haben. Halb aus dieser Welt, halb aus dem Fegefeuer, ja, demselben Fegefeuer, das die Protestanten angeblich abgeschafft hatten. Sie konnten im Handumdrehen den Aufbau des ganzen Universums umstülpen, diese Reformer, eine Kathedrale auf einen Schlag dem Erdboden gleichmachen.
    Wieder zurück im George Inn, hatte ein Brief auf mich gewartet. Offenbar von Blanche Parry. Ich riss ihn noch im Schankraum auf, in Gegenwart von Dudley und Cowdray.
    Anwyl Sion,
begann er.
    Dudley seufzte, als er mein Gesicht sah.
    «Was ist denn nun schon wieder?»
    Ich hielt ihm den Brief vor die Nase. Wie Ihr ja nun wisst, war mein Vater durch und Waliser.
Das Walisische –
pflegte er zu sagen –,
das Walisische, mein Junge, ist viel mehr wert, ja, viel mehr als Latein oder Griechisch, weil es eine Sprache ist, die noch so viele Menschen sprechen. Und dazu ihr Reichtum an Erzählungen und der Liederschatz der Barden …
    «Soll das heißen, dass du die Sprache nicht beherrschst?», wollte Dudley wissen.
    «Blanche geht anscheinend davon aus, dass ich es tue.»
    Anwyl Sion.
Mein lieber John. Das zumindest erschloss sich mir noch.
    «Herr im Hemd, John, hier muss es doch jemanden geben, der das lesen kann.»
    «Vielleicht so jemand wie dieser miese Pastor drüben in St. Benignus?» Ich hätte es gern geschrien. «Nicht unbedingt ein Mann, dem ich den Inhalt dieses Schreibens anvertrauen würde. Und es muss von größter Bedeutung sein, wieso sonst wäre es in dieser … alten britischen Kodierung verfasst?» Ich wandte mich

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