Die Gebeine von Avalon
bekanntermaßen ebenfalls Astrologe, aber wenn er seine Vorhersagen aus dem Stand der Sterne ablas, dann beobachteten wir wohl nicht denselben Himmel.
Ich las den Vierzeiler, den Madame Cadwaladr übersetzt hatte:
Im Lande der Kirchenspaltung
Wird die tote Hexe ihre Tochter heimsuchen,
Bis sie die Gebeine des Königs aller Briten geküsst
Und sie in allen Ehren bestattet hat.
Klare Worte. Die tote Hexe also, nicht Morgan le Fay.
Wann war diese Prophezeiung eingetroffen? Hatte die Königin schon Geister gesehen, bevor sie sie erhalten hatte, oder erst danach? Doch wie dem auch immer sein mochte, eines war klar: Nostradamus wusste genau, welche Karten er ausspielen musste. Darüber, dass die Mutter der Königin eine Hexe gewesen sein sollte, zerriss sich ganz Frankreich schon lange das Maul.
Handelte es sich also bei der Prophezeiung um eine reine Erfindung, mit der man die Königin in die Umnachtung treiben wollte? Versuchte man das vielleicht auch noch mit anderen Mitteln?
Denk nach …
Die Wachsfigur! Walsingham hatte alle Gerüchte darüber erstickt, bevor sich die Sache bis an den Hof herumsprach … Dann das Pamphlet, in dem der Tod der Königin vorausgesagt wurde und das trotz aller Sicherheitsvorkehrungen seinen Weg bis zu ihr gefunden hatte. War das alles in Wirklichkeit eine von langer Hand eingefädelte machiavellische Intrige?
Und wieso warnte niemand die Königin vor diesem raffinierten Plan, bei dem offensichtlich mit verschiedensten Mitteln versucht wurde, ihren Geist zu verwirren und ihre Seele krank zu machen?
Oder wurde sie
falsch
beraten, ob nun wissentlich oder unabsichtlich?
Die genauen Umstände sind mir nicht bekannt, aber sie wurden wohl heimlich von unserem Freund in Frankreich in Erfahrung gebracht.
Lag die Antwort darauf in diesen Zeilen? Natürlich gab es in Frankreich überall englische Spione. War es einem von ihnen gelungen, eine bisher unveröffentlichte Prophezeiung von Nostradamus über die Königin von England in seinen Besitz zu bringen? Sollte diese Prophezeiung tatsächlich als geheime Information von einem Spion nach England geschickt worden sein, hatte man ihr natürlich sehr viel größere Bedeutung beizumessen.
Die Königin war ausgesprochen abergläubisch, und Nostradmus’ Ansehen und die Verehrung, die ihm in Frankreich entgegengebracht wurden, standen außer Frage. Ich hatte immer wieder gehört, wie man ihm die schreckliche Prophezeiung über den Tod Henris beim Turnier zuschrieb, obwohl sie in Wirklichkeit aus Italien stammte. Wenn Nostradamus erklärte, dass Unheil bevorstand, blieben die Leute in Frankreich in ihren Häusern, und die Bauern verschoben die Ernte. Es hieß, unser Erzbischof Parker selbst habe das Amt in Canterbury zunächst wegen einer Prophezeiung von Nostradamus abgelehnt, auch wenn er dies bestritt.
Aus den bisher veröffentlichten Prophezeiungen dieses Mannes über die Königin hatte ein solcher Groll gesprochen, dass man sie ohne weiteres als französisch-katholische Sauereien abtun konnte.
In der Geschichte des Königreiches hat es noch keinen so furchtbaren Regenten gegeben,
hatte er geschrieben, als ihrer Thronbesteigung nichts mehr im Wege stand. Und dabei auf ihre
unglückselige Abstammung
hingewiesen. Anne.
Geheime Informationen aus Frankreich wurden der Königin persönlich von Sir Nicholas Throckmorton überbracht. Wusste Cecil über die Prophezeiung Bescheid?
«Ihr wirkt beunruhigt, Dr. John», sagte Mistress Cadwaladr, «und sehr müde.»
Cowdray hatte uns mit einem kleinen Krug Bier allein gelassen.
«Mir geht es gut», versicherte ich.
Es hatte keinen Sinn, mir weiter allein den Kopf zu zerbrechen. Ich musste mit Dudley darüber sprechen, der Throckmorton sehr viel besser kannte als ich.
«Als Master Cowdray mich um diesen Gefallen bat», sagte Mistress Cadwaladr, «hat er mir erzählt, dass … Eleanor Borrow und Ihr … sehr gute Freunde geworden seid.»
Erstaunt sah ich auf. Mistress Cadwaladr war auch in ihrem Alter eine schöne Frau, und die Übersetzung verriet ihre Intelligenz.
«Wir kennen uns eigentlich erst seit ein paar Tagen», sagte ich. «Aber … wir haben viel gemeinsam. Ich war entschlossen, sie als Anwalt vor Gericht zu vertreten. Als sie nicht mit mir sprechen wollte, war ich verzweifelt.»
«Ich kann das kaum glauben. Seid Ihr sicher, dass man Euch nicht angelogen hat?»
«Das vermutete ich zunächst, aber … Nein. Ich glaube, man hat sie dazu überredet …»
«Zu gestehen? Das
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