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Die Gebeine von Avalon

Die Gebeine von Avalon

Titel: Die Gebeine von Avalon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Phil Rickman
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mit Manuskripten und Büchern. Deswegen glauben meine Begleiter, dass ich in weltlichen Dingen etwas ungeübt bin.»
    «Wie sie darauf kommen, ist mir ein Rätsel.»
    Ihr Mund lächelte nicht, aber ihre Augen funkelten vergnügt. Mein Unbehagen verstärkte sich.
    «Ich würde jetzt gerne die Kirche sehen.»
    «Die Kirche?»
    «
Diese
Kirche. Auf dem Tor. Dem Teufelshügel. Wer auch immer in diesem Fall der Teufel sein mag – der Zauberer Merlin, der Feenkönig, die … für einen Katholiken sind sogar die Protestanten Teufel.»
    Wie immer, wenn ich mich in innerlichem Aufruhr befand, sprudelte es viel zu schnell aus mir heraus.
    «Aber da gibt es nichts zu sehen», entgegnete sie. «Sogar der Turm ist mittlerweile nicht viel mehr als einfach nur ein hohles Gerippe.»
    «Ihr nennt die Überreste einer Kirche
nichts
? Und was sind das überhaupt für Terrassen, die rund um den Hügel laufen? Wie die Erdwälle alter Festungen.»
    Sie zuckte mit den Achseln.
    «Ich bin wegen der Altertümer überhaupt nur hier», erklärte ich steif. «Da kann ich den Tor doch nicht einfach außer Acht lassen.»
    In Wirklichkeit wusste ich nicht, warum ich dorthin wollte, warum ich einen Ort aufsuchen wollte, der so furchteinflößend war. Vielleicht gerade
weil
er furchteinflößend war. Um zu beweisen, dass ich ein Mann war, der keine Angst hatte, den Teufel herauszufordern.
    Oder wenigstens, dass ich ein richtiger Mann war.
    «Also gut.» Sie zog ihren Umhang zurecht. «Hier entlang.»
     
    †
     
    Der Pfad schlängelte sich nach oben, sodass der Aufstieg nicht ganz so steil wurde, wie es von unten den Anschein gehabt hatte. Dennoch war es recht anstrengend, und während des gesamten Weges plagte mich die schmerzliche Frage, was es dem alten, geschundenen Abt Whiting abverlangt hatte, als er, auf einen Holzrost gebunden, seinem sicheren Tod entgegengeschleift worden war.
    So wie der Leidensweg Christi, der sich mit seinem Kreuz den Berg Golgatha, zur Schädelstätte, hinaufquälen musste.
    Oder schlimmer. Kurz vor Erreichen des Gipfels hielt ich inne und schaute zurück. Der Pfad war doch heimtückisch steil, wenn man sich vorstellte, einen alten Mann hier hochzuschleppen.
    Und dann auch noch
drei
Männer?
    Warum? Warum drei?
    Eine Dreifaltigkeit.
    Warum hier? Warum ließ man eine öffentliche Hinrichtung auf diesem unzugänglichsten aller Hügel durchführen? Wenn man daraus eine Zurschaustellung machen wollte, um das Volk zu belustigen, warum hatte man das dann nicht mitten in der Stadt getan?
    Vor uns ragte der Turm in die Höhe. Er wirkte, als wäre er direkt aus dem Hügel herausgetrieben worden, was nur unterstrich, wie verkehrt hier alles war. Wer, der noch ganz bei Verstand war, würde eine Kirche an einem so abgelegenen und schroffen Ort errichten? Eine Burg oder eine Festung vielleicht, aber doch kein Gotteshaus!
    Der Turm bestand aus graubraunen Steinen und zeigte auf einer Seite einen Riss wie bei einem gebrochenen Zahn. Vom Rest der Kirche war nur noch das Fundament übrig.
    Als ich ein paar Schritt hinter Mistress Borrow den Gipfel erklommen hatte, war mir, als wäre ich auf einer Wolke im Himmel angekommen. Und als ich dicht neben dem Turm stand …
    «Fühlt Ihr nicht auch, dass er mehr zur Luft als zur Erde gehört?»
    «Ja. Möglicherweise.»
    Eine Nadel, die den Himmel durchstößt und den Blitz anzieht. Und Erleuchtung.
    Schwindelig geworden, senkte ich meinen Blick. Durch den dünnen Nebel hindurch war die Aussicht von hier oben erstaunlich. Man konnte nicht nur die Abtei und die Stadt sehen, die zwischen den Hügeln wie zwei dicht beieinandergesäte Pflanzen wirkten, sondern auch das Flachland im Westen bis hin zum grauen Meer. Die Ebene war von engen Wasserläufen durchzogen, die hier und da zu kleinen Seen und Teichen anschwollen. Man spürte, dass sie immer noch zum Meer gehörte. Eines Tages würden die Fluten sie erneut verschlingen, und was übrig blieb, war dann wieder eine Insel wie in alter Zeit. Deswegen war dies, das wurde mir nun klar, das Herz dessen, was einmal die Insel Avalon gewesen war.
    Merlins Heimstatt, Artus wohl vertraut. Schauer liefen mir den Rücken hinunter wie Quellwasser, das zwischen Felsen sprudelt, und mein Kopf fühlte sich leicht an wie Daunenfedern. Funkengleich begann Erleuchtung in mir zu erstrahlen, und dann – du lieber Gott! – vereinten sich alle meine Sinne zu einem einzigen, die Landschaft begann zu schwanken, ein Farbspiel aus verschwimmendem Grün, Grau, Braun

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