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Die Gebeine von Avalon

Die Gebeine von Avalon

Titel: Die Gebeine von Avalon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Phil Rickman
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Krug mit Stöpsel aus ihrem Beutel und beugte sich zur heiligen Quelle hinunter. Obwohl ich gerade Wasser getrunken hatte, war mein Mund trocken. Dies schien der wärmste Tag seit Weihnachten zu sein, obwohl die Sonne noch immer hinter den Wolken verborgen lag. Es herrschte eine drückende und stickige Wärme, die der Jahreszeit nicht entsprach. Kein Lüftchen wehte. Ich fühlte mich unbehaglich. Alles an dieser merkwürdigen, halbzerstörten Stadt schien bei mir dieses Gefühl hervorzurufen.
    «Was sind das für Kräfte, von denen Ihr gesprochen habt?»
    «Ich … weiß es nicht. Ihr Ursprung liegt wohl weit zurück in der Vergangenheit verborgen. Vielleicht werdet Ihr es ja selbst spüren, wenn Ihr eine Weile hier verbracht habt. Es … verändert die Wahrnehmung der Dinge.»
    «Man hat mir erzählt, dass es hier Menschen gibt, die Visionen haben», sagte ich.
    Sie nahm das Gefäß von der Quelle und verkorkte es.
    «Wer hat Euch das erzählt?»
    «Ich kann mich nicht erinnern», erwiderte ich wenig überzeugend.
    Sie verstaute den Krug so vorsichtig in ihrem Beutel, als würde sie einen Säugling in sein Bettchen legen.
    «Es ist auf alle Fälle zutreffend, dass manche hier sehr schnell dem Wahnsinn anheimfallen.»
    «Was treibt sie dazu?»
    «Vielleicht das, was sie hier sehen und hören. Vielleicht sollte eigentlich niemand hier leben. Solche Orte
gibt
es doch, nicht wahr?»
    «Tatsächlich?»
    «Orte, an denen es Menschen schwerfällt, ein zufriedenes Leben zu führen. Und Mönche … Mönche würde es sicher an solche Orte ziehen, oder?»
    «Für einen Mönch» – mir wurde ganz heiß vor Aufregung –, «für einen Mönch muss das dann wohl wie eine Herausforderung für sein Seelenheil sein?»
    «Ganz genau.»
    Sie strahlte.
    «Aber nun sind alle Mönche fort», hakte ich nach.
    «Wenn alldem so ist, könnte das bedeuten …» Sie stützte das Kinn in die Hand, als ob in alldem etwas Neues steckte, über das sie nun zum ersten Mal nachdachte. «Es könnte bedeuten, dass die Mönche hier benötigt wurden, um die Dinge im Gleichgewicht zu halten.»
    Sie verfiel in Schweigen. Hinter mir spürte ich die bedrückende Präsenz des Hügels. Es fühlte sich an, als ob des Teufels Finger an den Wolken kratzte. Unerklärlicherweise spürte ich plötzlich den Drang aufzuschreien.
    «Was meint Ihr mit Gleichgewicht?»
    «Um den Frieden zu bewahren. Die täglichen Gebete und Gesänge müssen wie ein zarter Balsam gewirkt haben.»
    «Und nun gibt es hier keinen Frieden mehr? Hat die Andacht in der Johanniskirche nicht den gleichen Effekt?»
    «Zwingt mich nicht, es auszusprechen, Dr. John», bat sie mich.
    Ich schwieg. Sie wäre kaum die Erste, die andeutete, dass der englischsprachige Gottesdienst der anglikanischen Kirche nur ein schwacher Ersatz für die älteren, nun verdrängten Rituale war.
    «Ihr seid noch nicht lange genug hier, um die Stadt wirklich zu kennen.»
    «Dann klärt mich auf.»
    «Die Gefühle …» Sie seufzte. «Gefühle schlagen hier oft ins Extreme. Wenn man versucht, es jemandem zu erklären, hört es sich nicht sonderlich bedeutsam an – bitterer, nicht endender Zwist, Kleinkriege, Schlägereien auf der Straße. Diebstahl und verprügelte Ehefrauen. Männer, die ohne Grund erschlagen werden. Für nichts und wieder nichts. Aber wenn man alles zusammennimmt, kommt es einem vor, als wäre dieser Ort zu einer offenen und unbehandelten Wunde geworden, voller Fäulnis und Wundbrand. Wie absterbendes Fleisch.»
    Ich muss ziemlich große Augen gemacht haben, so überrascht war ich über ihre Eloquenz und die Überzeugungskraft ihrer Beweisführung. Ich dachte daran, was Cowdray über die Ausstrahlung der Abtei gesagt hatte.
Wie ein gewaltiges Leuchtfeuer, das immer brannte.
Ein beruhigendes Licht. Und die Abtei war schon
vor
der Stadt hier gewesen, die dann um sie herum gewachsen war, um ihr zu dienen. Und nun war das Licht erloschen und die Stadt leichte Beute für …
    Man sagt, dass sich der Teufel in der Nähe von jedem heiligen Platz eine erhöhte Stelle sucht, um darauf seinen Wachturm zu bauen.
    Ich hatte mich bisher in theologischen Fragen für recht bewandert gehalten, aber das hier war Neuland für mich. Es brachte mich zu der Überzeugung, dass alles, was ich zuvor gelernt hatte, nur von geringem Nutzen war. Ich besah mir die heilige Quelle, die Blutquelle, die
Eisen
quelle, und spürte die drückende Schwere des seltsamen Hügels.
    Ich weiß, dass es Orte gibt, an denen die Erde

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