Die Gebrüder Kip
von Port-Arthur blieb es natürlich auch nicht unbekannt, daß zwei ihrer Genossen, und zwar die Irländer O’Brien und Macarthy, entflohen waren. Welchen Neid mußte dieser Versuch bei den übrigen Elenden erwecken! Sie, die nach gemeinem Recht verurteilt waren, hielten sich ja für nicht schlechter als die wegen politischer Vergehen Verurteilten. Jene Feniers waren einfach Gefangene, wie sie selbst, und jene hatten doch entweichen können! War es ihnen gelungen, die Halbinsel zu verlassen, die Pfahlreihe der Landenge zu durchbrechen? Oder waren sie noch im Walde verborgen und warteten da auf Hilfe von draußen?…
Was da in den Schlafsälen besprochen wurde, das bildete auch den Gegenstand des Gespräches in der Zelle der Gebrüder Kip. Die Holländer wußten aber, was den anderen unbekannt war: daß ein Schiff auf die Flüchtigen wartete, daß ein Boot sie an der Saint-Jamesspitze aufnehmen sollte. Doch ob das Boot zur bestimmten Stunde wohl auch an jener Stelle gelegen hatte?…
»Nein, das ist unmöglich, erklärte Karl Kip, auf eine bezügliche Frage seines Bruders. Über der Storm-Bai rast ein wirklicher Sturm! Kein Boot könnte jetzt anlegen; kein Schiff, und wäre es selbst ein Dampfer, würde sich der Küste soweit zu nähern wagen.
– Dann, meinte Pieter Kip, werden die Unglücklichen genötigt sein, die Nacht an der Landspitze zuzubringen.
– Die Nacht und auch den nächsten Tag, Pieter, denn heute ist an ein Fortkommen nicht zu denken.
Sie gingen, nach den Lichtern eines Schiffes spähend, am Strande hin und her. (S. 374.)
Wer weiß noch obendrein, ob sich dieser Sturm binnen vierundzwanzig Stunden schon gelegt haben wird?«
In den langen Stunden der Nacht konnte keiner der Brüder ein Auge zutun. Gespannt lauschend saßen sie da, während der Sturm an dem kleinen Fenster ihrer Zelle rüttelte, lauschend, ob nicht ein Hin-und Herlaufen von Aufsehern verriet, daß die auf ihrer Flucht eingeholten Irländer wieder in die Strafanstalt geschleppt würden.
Das Entweichen O’Briens und Macarthys an diesem Tage war nun, dank der Unterstützung durch deren Landsmann Farnham, folgendermaßen vor sich gegangen:
Die sechste Stunde war nahe herangekommen, die Rotten arbeiteten noch an dem Fällen der Bäume. Schon verlor sich der Wald etwas im Schattendunkel. Noch fünf oder sechs Minuten, und der Oberaufseher mußte das Zeichen geben, den Rückweg nach Port-Arthur wieder anzutreten.
In diesem Augenblick bemerkten die beiden Brüder, daß Farnham sich den Irländern näherte und ihnen ein Wort zuflüsterte. Darauf folgten ihm beide bis zum Rande der Lichtung, wo sie an einem Baume stehen blieben, der zum Niederlegen angezeichnet war.
Dem Oberaufseher fiel es nicht weiter auf, sie sich in dieser Richtung und in Begleitung eines Aufsehers entfernen zu sehen, und jene blieben an dieser Stelle bis zu der Zeit, wo die verschiedenen Abteilungen zum Rückmarsch nach Port-Arthur zusammentraten.
Wie gesagt, bemerkte dabei niemand, daß sich weder O’Brien noch Macarthy so wenig wie Farnham dem Zuge angeschlossen hatte. Erst bei der Verlesung im Hofe der Strafanstalt wurde ihr Fehlen ruchbar.
Bei der zunehmenden Dunkelheit hatten sich die drei Flüchtlinge ungesehen entfernen können. Um einer Patrouille aus dem Wege zu gehen, die sich eben nach dem nächsten Wachtposten begab, hatten sie sich in einem Dickicht verbergen müssen. Dabei galt es auch die größte Vorsicht anzuwenden, daß sie nicht das Klirren der Ketten verriet, die O’Brien und Macarthy am Fuße und am Gürtel trugen.
Die Patrouille zog vorüber, alle drei erhoben sich; dann gelang es ihnen, zuweilen still stehend, um auf das leiseste Geräusch zu lauschen, den Rand des Steilufers zu erreichen, vor dem sich die Saint-Jamesspitze ausdehnte.
Jetzt lag schon die Finsternis über der ganzen Halbinsel Tasman, eine um so tiefere Finsternis, als schwere, vom Sturm einhergejagte Wolken den Himmel bedeckten.
Es war siebeneinhalb Uhr geworden, als die Flüchtlinge Halt machten, um die Bai zu überblicken.
»Kein Schiff zu sehen!« sagte O’Brien.
Wirklich schien die Bai gänzlich verlassen zu sein, denn ein Schiff hätte sich doch durch seine Positionslichter verraten, wenn man es bei der herrschenden Dunkelheit auch selbst nicht sehen konnte.
»Sagen Sie, Farnham, fragte Macarthy, sind wir hier auch wirklich an dem Steilufer hinter der Saint-Jamesspitze?
– Gewiß, versicherte Farnham, ich glaube aber kaum, daß ein Boot da
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