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Die Geburt Europas im Mittelalter

Die Geburt Europas im Mittelalter

Titel: Die Geburt Europas im Mittelalter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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Europe une
herausgegeben. Georg von Podiebrad erklärt den Verzicht auf Krieg zwischen den europäischen Staaten ausdrücklich zum Zweck und Mittel der von ihm angestrebten Union. So ließ der König von Böhmen vor mehr als fünfhundert Jahren einen Aufruf zum Frieden in Europa ergehen, in dem er den Frieden als höchstes Gut einer europäischen Gemeinschaft darstellte. Konflikte zwischen den Mitgliedern der Ratsversammlung sollten einem gemeinsamen europäischen Schiedsgericht vorgetragen werden. Des Weiteren forderte er einen eigenen Sitz für die Ratsversammlung und legte Wert auf die Möglichkeit, den ursprünglichen Rat durch die Aufnahme neuer christlicher Mitglieder zu erweitern. Er sah vor, die Kosten der neuen Institution über die Erhebung einer Sondersteuer und die Bereitstellung anderer Mittel zu finanzieren. Die Versammlungen sollten im Fünfjahresrhythmus in verschiedenen europäischen Städten abgehalten werden, angefangen bei Basel, gefolgt von einer Stadt in Frankreich und dann einer in Italien. Georg von Podiebrad wollte außerdemein gemeinsames Wappen, ein Siegel, eine Finanzkasse, Archive, ein Syndikat, einen Steuerbevollmächtigten und einen Beamtenstab. Bei Abstimmungen sollte jede «Nation» (Frankreich, Germanien, Italien, eventuell Spanien u.a.) über eine Stimme verfügen. Entscheidungen waren nach der Mehrheit der Stimmen zu treffen, und in Pattsituationen sollten «die delegierten Vertreter der in Rang und Würde höchstgestellten Herren» den Ausschlag geben. Den übrigen Beitrittsnationen des Pakts blieb die Wahl zwischen beiden Seiten freigestellt. Soweit der Inhalt dieses erstaunlichen Modells, das leider nicht einmal in Ansätzen verwirklicht wurde. In der Mitte des 15. Jahrhunderts war das vereinte Europa noch sehr verfrüht, aber es scheint mir bemerkenswert, dass ein, wenn man so sagen darf, atypischer Fürst eine so moderne Vorstellung entwickeln konnte.
Italien, Glanzlicht und Beute Europas
    Im europäischen Raum hat besonders Italien die Blicke vieler Zeitgenossen auf sich gelenkt und seither die Historiker interessiert. Trotz der Unfähigkeit, eine Nation zu bilden, flößte es zahlreichen humanistischen Intellektuellen, nicht zuletzt Machiavelli, patriotische Gefühle ein. Dabei sah die Wirklichkeit Italiens zerrissen und zerstückelt aus. Seine Stellung im 15. Jahrhundert war paradox, oder besser gesagt, heillos verworren. Und doch war es die glanzvolle Heimat nicht nur des Humanismus, sondern der großen Renaissance, deren erste Blüten wir am Beispiel von Florenz gesehen haben. Italien zog viele Europäer an, meistens aus religiösen Motiven, zu denen sich aber eine, wie wir heute sagen würden, touristische Neugierde gesellte. Die Religion bot ihnen Gelegenheit, beides miteinander zu verbinden. So kamen die zahlreichen Europäer, die sich in Venedig zur Pilgerfahrt ins Heilige Land einschiffen wollten, im Allgemeinen einen Monat vor der Abfahrt ihres Schiffes, um die prachtvollen italienischen Kirchen zu besuchen und die zahllosen Reliquien, die sie enthielten, zu verehren.
    Im 15. Jahrhundert wurde das komplizierte Bild, das Italien bot, etwas einfacher. Florenz vereinigte weite Teile der Toskana,vor allem durch die Unterwerfung von Pisa und Livorno, durch die es sich als Seemacht etablieren konnte. Venedig baute seine Herrschaft im Nordosten der Halbinsel, auf der Terraferma, aus, indem es 1428 Bergamo und Brescia unter seine Kontrolle brachte. Filippo Maria Visconti stellte die Einheit von Mailand wieder her und nahm 1421 Genua ein. In Neapel musste König René von Anjou, der 1438 die Macht übernommen hatte, 1443 endgültig Alfons von Aragón weichen, der für lange Zeit die Einheit Beider Sizilien (Neapel, Sardinien und Sizilien) unter aragonesischer Herrschaft wiederherstellte. Diese Staaten und die Herrscher an ihrer Spitze – wie Francesco Sforza, der Nachfolger der Visconti in Mailand, oder Cosimo von Medici in Florenz – lieferten sich endlose Kämpfe, um deretwillen sie den König von Frankreich anriefen. Schließlich trat Venedig am 9. April 1454 einer «sehr heiligen Liga» bei, dem unter der Schirmherrschaft des Papstes auf fünfundzwanzig Jahre geschlossenen Vertrag von Lodi, der zwischen den italienischen Mächten ein Gleichgewicht herstellte, das über die vorübergehenden Wirren der napoleonischen Zeit hinaus mehr oder weniger bis 1860 halten sollte.
    Dieses glänzende und gegen sich selbst gespaltene Italien übte auf einen

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