Die Geburt Europas im Mittelalter
König Karl VIII. im Jahr 1491 und ihre Wiederverheiratung mit Karls Nachfolger, Ludwig XII., im Jahr 1499 sicherten die Eingliederung der Bretagne in das französische Königreich.
Eine andere Vereinfachung der Landkarte erfolgte auf der Iberischen Halbinsel. Nach vielen Schicksalswenden konnte Portugal beim Friedensvertrag von Alcáçovas (1479) seine Unabhängigkeit bewahren, indem es auf Kastilien verzichtete. Katalonien schloss sich wieder der Krone von Aragón an, und der Thronerbe von Aragón, Ferdinand, vermählte sich 1469 in Valladolid mit Königin Isabella von Kastilien. Diese beiden bildeten das Paar der «Katholischen Könige» – und für Spanien die Verheißung einer Vereinigung.
Vor allem aber griffen die Katholischen Könige in einer neuen Kreuzzugsatmosphäre Granada an, das letzte muslimische Königreich in Spanien. Im Jahr 1487 nahmen sie Málaga ein, 1489 Baza und Almería und am 2. Januar 1492 schließlich Granada. Aus heutiger Sicht darf nicht unerwähnt bleiben, dass im selben Jahr 1492 die Juden aus Kastilien vertrieben wurden und Christoph Kolumbus für die Könige von Spanien ein Land entdeckte, das den Namen Amerika erhalten sollte.
Damit hätte die lange, seit dem 8. Jahrhundert währende Verwurzelung der Muslime in Europa beendet werden sollen.Aber während ihre Herrschaft im Südwesten zu Ende ging, tauchte im Südosten eine andere muslimische Bedrohung auf: die Türkengefahr.
Die Türkengefahr
Seit der Mitte des 14. Jahrhunderts war die Bedrohung durch die osmanischen Türken im Südosten Europas immer konkreter geworden. Zwischen 1353 und 1356 hatten sie Gallipoli und Südthrakien eingenommen, 1387 war ihnen Thessalonike in die Hände gefallen, und 1389 hatten sie den Serben in der Schlacht auf dem Amselfeld (Kosovo) eine blutige Niederlage zugefügt, deren Grausamkeit das kollektive Gedächtnis des serbischen Volkes bis heute in Erinnerung bewahrt. Ein Kreuzfahrerheer, das dem Aufruf von Kaiser Sigismund gefolgt war und das Beste aufbot, was Europa zu bieten hatte, die «Blüte der Ritterschaft», wie man es nannte, wurde 1396 im kleinasiatischen Nikopolis niedergemetzelt. Damit waren die Kreuzzüge beendet. Der Kongress der christlichen Fürsten Europas, den Pius II. 1459 zur Befreiung Konstantinopels nach Mantua einberief, versagte vollständig. 1453 hatten die Türken die Stadt eingenommen und dem Abendland einen tiefen Schock versetzt, ohne im christlichen Europa starken Widerstand zu wecken. Zwischen 1463 und 1466 eroberten die Türken Bosnien, 1478/79 fielen sie in Friaul und die Steiermark ein und besetzten 1480 Otranto. Mit dem Fall von Caffa auf der Krim verlor Genua 1475 sein Kolonialreich.
Wie bereits erwähnt, stammt die einzige mittelalterliche Abhandlung, die «Europa» im Titel führt und den Kontinent mit diesem Wort benennt, von Papst Pius II. Gleich nach der Einnahme Konstantinopels, am 21. Juli 1453, schrieb er an Nikolaus von Kues. Er betonte insbesondere, wie sehr die italienische, die europäische Adriaküste durch die Türken bedroht sei, und sah eine Schwächung Venedigs mit verheerenden Folgen für die Christenheit voraus. Er schloss mit den Worten: «Nun schwebt das Türkenschwert über unseren Häuptern, und währenddessen liefern wir uns Bürgerkriege, vertreiben unsere eigenen Brüder und lassen es zu, dass sich die Feinde des Kreuzes gegen uns entfesseln.» Ein noch genaueres Bildvon der katastrophalen Zerrissenheit der Christenheit und ihrer Ohnmacht gegenüber der Türkengefahr zeichnete Pius in einem Brief vom 25. September desselben Jahres 1453 an Leonardo Benvoglienti, den Botschafter von Siena in Venedig. Auch hier gebrauchte er in einem zugleich außergewöhnlichen und beispielhaften Kontext das Wort «Europa». Er schrieb: «So sieht das Gesicht Europas aus, so steht es um die christliche Religion.»
Der Europaplan des Georg von Podiebrad
Ungefähr zur gleichen Zeit legte der gemäßigte Hussit und König von Böhmen, Georg von Podiebrad, einen Vorschlag vor, als Bollwerk gegen die Türken, wenn nicht gar zu deren Vertreibung, eine Ratsversammlung einzurichten, die – obwohl sie nicht den Namen «europäisch» trug und hauptsächlich auf dem gemeinsamen katholischen Glauben beruhte – den ersten Plan eines vereinigten Europarats darstellt. Dieser auf lateinisch verfasste Text der
Universitas
aus dem Jahr 1464 wurde von seinem Übersetzer Konstantin Gelinek ein «Tractatus für Europa» genannt und 1992 von Jean-Pierre Faye in
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