Die Geburt Europas im Mittelalter
Silvesters II. für ein erneuertes, christianisiertes Europa einnahmen. Miniaturen zeigen den Kaiserin seiner Majestät, eskortiert von «Roma», «Gallia», «Germania» und «Sclavinia», dem Slawenland. Im Jahr Tausend bezog sich der gemeinsame Traum von Papst und Kaiser also durchaus auf ein nach Osten erweitertes Europa. Die Geschichte hat diesen Traum mehr oder weniger erfüllt. Der Eintritt der slawischen Welt in die vereinigte Christenheit – unabdingbar für Europa – ist noch heute eines der großen Ereignisse der europäischen Vereinigung. Auch dieses Problem geht auf das Mittelalter zurück.
Unter den Historikern unserer Zeit wird viel darüber diskutiert, ob das Jahr Tausend den Wendepunkt darstellt, an dem das große Wachstum der mittelalterlichen Christenheit begann. Sicher scheint, dass ihre wirtschaftliche Leistung zwischen 950 und 1050 stark zugenommen hat. Dieses Wachstum bildet die Grundlage der religiösen und politischen Träume des Jahres Tausend. Es erstreckt sich mehr oder weniger ausgeprägt auf die gesamte Christenheit, wie das Zeugnis des cluniazensischen Mönchs Rodulfus Glaber sehr anschaulich zeigt: «Als das dritte Jahr nach dem Jahr Tausend nahte, sah man fast überall auf Erden, aber vor allem in Italien und Gallien, wie Bauwerke und Kirchen neu hergerichtet wurden. Obwohl die meisten, solide gebaut, dies gar nicht nötig hatten, trieb ein regelrechter Wetteifer jede christliche Gemeinde, eine prunkvollere zu haben als ihre Nachbarn. Man mochte meinen, die Welt selber hätte sich geschüttelt, um ihren alten Staub abzulegen und sich allenthalben mit einem weißen Mantel aus Kirchen zu bekleiden. Um diese Zeit wurden fast alle Kirchen der Bischofssitze, die der Klöster, welchen Heiligen sie auch geweiht sein mochten, und sogar die kleinen Dorfkapellen von den Gläubigen noch schöner wieder aufgebaut.» Dieser Aufschwung brachte eine rasche Entwicklung sämtlicher Aktivitäten mit sich, die der Baubetrieb erfordert, ganz gleich, ob es sich um die Rohstoffgewinnung, den Materialtransport, die Herstellung von Werkzeug, die Rekrutierung von Arbeitskräften oder um Finanzierungspläne handelt. Es war der Anfang einer zunehmenden Bautätigkeit, in der sich die Dynamik der Christenheit entfaltete und der Europa die Fülle seiner romanischen und gotischen Bauwerke verdankt. Ein Sprichwort sagt: «Wo gebaut wird, laufen die Geschäfte.» Es hat sich in Europaseit dem Jahr Tausend bestätigt. Der lebhaften materiellen Geschäftigkeit entspricht eine kollektive Umbruchstimmung, ein großes Brodeln im religiösen und psychologischen Bereich. Georges Duby hat die Wunder des Milleniums glänzend zur Geltung gebracht, angefangen bei den Zeichen des Himmels, aber auch die große Buß- und Reinigungsbewegung, die Blüte des Reliquienkults und der Wundergläubigkeit – eine Mischung aus Hoffnungen, Ängsten und Träumen. Wenn das Herz Europas schlägt, pulsiert es mehr oder weniger stark in der ganzen Weite des Raums, vom Westen bis zum Osten und vom Norden bis zum Süden. Ein gefühlsbetontes Europa tritt hervor.
Die «Neulinge»: Skandinavier, Ungarn und Slawen
Kommen wir auf die letzte Welle der Invasionen und der Christianisierung zurück, die ich im Zusammenhang mit Otto III. erwähnt habe. Die Slawen waren bereits auf christianisiertes Gebiet vorgedrungen und hatten zur Bildung eines gemischt bevölkerten Europa beigetragen. Es waren die Kroaten, die sich im 7. und 8. Jahrhundert in der Gegend zwischen Adria und Donau, zwischen Rom und Byzanz, ausgebreitet hatten. Durch den Vertrag von Aachen (812) wurden sie fränkischer Herrschaft unterstellt, bewahrten jedoch ihre Identität zwischen Lateinern und Byzantinern, wobei das Pendel eher für die Lateiner ausschlug. 925 erhob Papst Johannes X. den Kroaten Tomislav zum König und brachte die Kroaten unter die Gerichtsbarkeit Roms, indem er auf den Synoden von Split 925 und 928 einen Metropoliten in Split einsetzte.
Insgesamt stellen die «Neulinge» drei Gruppen dar, deren allmähliche Bekehrung zum Christentum um das Jahr Tausend beschleunigt wurde.
Beginnen wir mit den Skandinaviern, die gewöhnlich Wikinger oder Normannen genannt werden. Vom Ende des 8. bis zur Mitte des 10. Jahrhunderts gelten sie den Christen des Abendlands vor allem als Eindringlinge und gewalttätige Plünderer, auch wenn die Raubzüge oft mit friedlichen Handelsgeschäften einhergehen. Im 10. Jahrhundert bilden die Dänen ein großes Königreich, das Norwegen
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