Die Geburt Europas im Mittelalter
Könige wurde schließlich auch sein Nachfahre Ladislaus (1077 bis 1095) ein Heiliger.
Die große Welle der Christianisierung um das Jahr Tausend berührte auch die Westslawen. Von den Kroaten, die sich schon früher in der Region nordöstlich der Adria angesiedelt hatten, haben wir bereits gesprochen. Eine sehr wichtige Rolle spielt nun eine Episode, die hier sowohl aus negativen als auch aus positiven Gründen erwähnt werden muss: der Versuch der byzantinischen Mönche Konstantin und Method, die Slawen zum griechisch-orthodoxen Glauben zu bekehren. Die beiden Brüder, schon sehr früh mit slawischen Kreisen verbunden, wollten die Bekehrung der Slawen mit einer Stärkung ihrer kulturellen Identität verbinden. Darum schufen sie für die slawische Sprache eine besondere Schrift, das glagolitische Alphabet. Ihr wichtigstes Missionsfeld war Mähren. Aber so bedeutend und von langer Dauer ihr Einfluss im sprachlichen und liturgischen Bereich auch sein mochte, gelang es ihnen nicht, die Tschechen und andere mährische Völker an die Ostkirche zu binden und zu verhindern, dass sich Böhmen und Mähren der römisch-lateinischen Christenheit anschlossen. Dennoch hat ihr Wirken die slawischen und anderen Völker Mitteleuropas so stark geprägt, dass Papst Johannes Paul II. die Mönche Kyrill (Konstantin) und Method gemeinsam mit dem hl. Benedikt von Nursia zu Schutzpatronen Europas erhob.
Die Periode der Christianisierung Mitteleuropas war – mit Ausnahme der Entwicklung in Ungarn – von politischen Wirren gezeichnet. Der Fürst Svatopluk (870–894) hatte ein Großmährisches Reich geschaffen, das nach seinem Tod zerfiel. Böhmen löste sich schon 895 ab, und um das Jahr Tausend machten sich Böhmen und Polen, die sich beide zum Christentum bekehrt hatten, die Vorherrschaft über Mähren streitig. 966 hatte sich der Polenfürst Mieszko I. aus der Piastendynastie taufen lassen. Das christliche Polen unterhielt teils konflikthafte, teils freundschaftliche Beziehungen zum benachbarten Deutschen Reich. Ein rein polnisches Erzbistum wurde 999 in Gnesen am Grab des hl. Adalbert gegründet. Im Jahr Tausend unternahm Kaiser Otto III. eine Pilgerfahrt dorthin. 1025 schließlich ließ sich Boleslaw I. zum König krönen. Das religiöse und politische Zentrum des Landes verschob sich im Lauf des 11. Jahrhunderts nach Süden: Krakau wurde die Hauptstadt von Polen.
Man sieht also, wie der Prozess der Christianisierung vonstatten ging, auf der kirchlichen wie auf der politischen Ebene. Im Allgemeinen war die Einsetzung von Metropoliten mit der Thronbesteigung von Königen verbunden. Auf die Frage, ob es im Mittelalter und darüber hinaus, in der langen Dauer, eine spezifische Eigenheit Mitteleuropas gegeben hat, werden wir noch zurückkommen. Festzuhalten ist jedenfalls, wie sehr bei diesem Aufbau der Christenheit der Entwurf Europas, abgesehen von der Bekehrung zum Christentum, die Errichtung monarchischer Staaten begünstigte. Europa war ein Komplex von Königreichen. Die fast flächendeckende Übernahme des Christentums in West- und Mitteleuropa – gegen Ende des 11. Jahrhunderts waren nur noch die Preußen und Litauer Heiden – ging mit tief greifenden Veränderungen der Toponymie einher. Die Orte zu taufen war ebenso wichtig wie die Taufe der Menschen. Ein ganzes Netzwerk von Orten, die christliche Namen trugen und oft an Pilgerstraßen lagen, prägte die Christenheit. Am Ende des 11. Jahrhunderts war Martin der Name, der in der ganzen Christenheit, von Polen bis Spanien, am häufigsten für Ortsbezeichnungen gebraucht wurde.
Eine europäische «Friedensbewegung»
Die Welt des Jahres Tausend war kriegerisch und gewalttätig. Je mehr die Kämpfe gegen die nach und nach zum Christentum bekehrten Heiden in die Ferne rückten, desto heftiger wurden, schon auf lokaler Ebene, die Konflikte unter Christen. In dieser Zeit, um das Jahr Tausend, entwickelte sich in der Christenheit eine mächtige Friedensbewegung. Der Frieden, der in der Liturgie durch den Friedenskuss symbolisiert wurde, war eines der wichtigsten Ideale, die das Christentum predigte. Jesus lobte die Friedfertigen und machte den Frieden zu einem der wichtigsten christlichen Werte. Historisch hängt das Auftauchen der Friedensbewegung, die gegen Ende des 10. Jahrhunderts in Südfrankreich begann und sich im 11. Jahrhundert in ganz Westeuropa verbreitete, mit der Geburt des so genannten Feudalwesens zusammen. Auch wenn die Errichtung der grundherrlichen Macht
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