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Die Geburt Europas im Mittelalter

Die Geburt Europas im Mittelalter

Titel: Die Geburt Europas im Mittelalter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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Artus.
    Diesen Vorstellungen, die von wesentlicher Bedeutung für die künftige Vorstellungswelt Europas sind, entsprang im 13. Jahrhundert, nachdem zuvor der «fahrende Ritter» als mythischer Held erfunden worden war, ein Themenkreis, der die Ritterschaft illustriert, indem er Helden unterschiedlichen Ursprungs versammelt. Es ist der Themenkreis der «Neun guten Helden» – eine heilige Geschichte der Ritterschaft, in der sowohl die antiken Helden, Hektor, Alexander und Julius Cäsar, als auch die biblischen, Josua, David und Judas Makkabäus, und schließlich die christlichen, Artus, Karl der Große und Gottfried von Bouillon, auftreten. Das ritterliche Imaginäre, bestehend aus kriegerischen Heldentaten und hingebungsvollen Diensten an den Schwachen (Frauen, Armen etc.), konnte das Mittelalter umso besser überdauern, als das Attribut «ritterlich», obwohl größtenteils durch die Kirche geformt, in dem von den eigentlich christlichen Werten sich entfernenden Europa doch einen weltlichen Wert bewahrt. Umgekehrt war die Kirche im Mittelalter auf Distanz zu den nach ihrem Dafürhalten immer noch zu barbarischen Werten der Ritterschaft geblieben. «Freigebigkeit ist keine Barmherzigkeit, und eine Gabe ist kein Almosen», wie Jean Flori so schön gesagt hat.
    Die Ritterschaft steht in enger Beziehung zu einer anderen feudalen Erscheinung, dem höfischen Verhalten. Ritterlichkeit und Höflichkeit sind gemeinsam in das moderne Europa eingegangen. Das Höfische definiert sich, wie die Etymologie anzeigt,durch die guten Sitten, die am Hof der Könige und Fürsten herrschen. Dabei können diese Fürsten interessanterweise sowohl Männer als auch Frauen sein. Während die Ritterschaft eindeutig eine Männerwelt darstellt, ist die Frau in der höfischen Gesellschaft allgegenwärtig, sei es, dass sie den Ton angibt und Schriftsteller und Künstler um sich schart wie Gräfin Marie von der Champagne (1145–1198), oder – wenn es keine Legende ist – sei es, dass sie von den Männern ihrer Umgebung bewundert und beschützt wird, wie Eleonore von Aquitanien, die in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts Königin von England war. Den höfischen Werten und Verhaltensweisen entspricht das gute Benehmen, dessen Bedeutung der Soziologe Norbert Elias hervorgehoben und dessen Ursprünge er im Mittelalter, im 12. und 13. Jahrhundert, entdeckt hat. Die guten Sitten, die er in seinem Werk Ü
ber den Prozess der Zivilisation
beschreibt und erhellt, bestehen größtenteils in der Verfeinerung der Tischsitten. Durch sie wurden Hygiene und Höflichkeit in eine Gesellschaft gebracht, die erst ganz am Ende des Mittelalters den Gebrauch der Gabel einführte. Nicht zu mehreren vom selben Teller zu essen, nicht zu spucken, sich vor und nach den Mahlzeiten die Hände zu waschen, sind lauter Gesten, die aus dem Mittelalter stammen und uns erhalten geblieben sind.
    Die andere Lehrstätte des guten Anstands war das Kloster. So verfasste der große Lehrmeister Hugo von St.-Victor, von 1090 bis 1141 Kanoniker des berühmten gleichnamigen Klosters am Stadtrand von Paris, ein Werk
De instructione novitiorum
, das – wie Jean-Claude Schmitt sehr schön gezeigt hat – die Zucht der Gesten, des gesprochenen Worts und der Tischsitten bei den jungen Novizen regelt.[ 6 ] Aber auch wenn der Hof ein strahlendes Zentrum sich zivilisierender Sitten war, darf man nicht vergessen, dass der von der Antike überkommene Kontrast zwischen Stadt und Land im Mittelalter fortlebte und die guten Manieren der Städter in Gegensatz zur Grobschlächtigkeit der Bauern gestellt wurden. Die Urbanität, die Politesse –
urbs
ist die lateinische,
polis
die griechische Bezeichnung für die Stadt – standen in schroffem Gegensatz zum
rus
, dem Ländlichen und Rustikalen. Vergessen wir auch nicht, dass die Römer auf dem Bett liegend zu essen pflegten und die Europäer des Mittelalters die Benutzung des Tisches eingeführt haben – eineGewohnheit, die sie von den meisten Asiaten und Afrikanern unterscheidet.
Die Entwicklung der Ehe
    Die neuen Ausdrucksformen der Liebe nehmen einen wichtigen Platz im Prozess der sich wandelnden Empfindungen und Sitten ein, der am Anfang der Feudalzeit deutlich wird. Die neuen Liebesbezeigungen entwickeln sich vor dem Hintergrund einer entscheidenden Veränderung, die die Ehe in dieser Zeit erfährt. Als ein wesentliches Element der Gregorianischen Reform, auf die wir noch zu sprechen kommen werden, verleiht die Kirche der Ehe neue

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