Die Geburt Europas im Mittelalter
durch Könige oder Fürsten wurde erst spät praktiziert, sie war begrenzt und brachte den Geadelten nicht das gleiche Ansehen ein wie die Abstammung.
Auch wenn es heute in Europa und unterschiedlich ausgeprägt nur noch Schatten des im Mittelalter geborenen Adels gibt, nehmen die Begriffe
adelig
und
Adel
immer noch eine herausragende Stellung in der abendländischen Werteskala ein. Denn schon im Mittelalter taucht neben dem Geblütsadel die Vorstellung eines adligen Charakters, Verhaltens oder einer Tugend auf, die den Menschen adelt. Die Moralisten stellen diesen erworbenen Adel gern in Gegensatz zum angeborenen, nicht unbedingt durch die Person gerechtfertigten Adel. Der Begriff des Adels hat in Europa eine wichtige Diskussion um die Wertschätzung von Männern und Frauen entfacht.
Ritterschaft und höfische Sitten
Eine Stufe unter dem Adel taucht ebenfalls um das Jahr Tausend, aber eindeutiger und auf breiterer Front, ein anderer sozialer Typus auf: der Ritter. In Abgrenzung zum Begriff
miles
, der definitionsgemäß sowohl im Römischen Reich als auch bei den romanisierten Barbaren nur für eine Funktion stand, die Kriegführung – der
miles
war ein Soldat –, entwickelt sich der Ausdruck «Ritter» um das Jahr Tausend zur Bezeichnung einer oft an die Burg und den Burgherrn gebundenen Elite von Kämpfern, die sich auf den Kampf zu Pferde spezialisiert haben, sich aber neben wirklichenKämpfen im Dienst ihres Herrn anderen Praktiken hingeben, die zugleich Zerstreuung und Waffenübung sind, den Turnieren. Diese Turniere erregen den Unmut der Kirche, die darin den – auch gegen die Kirche gerichteten – aggressiven Charakter der
bellatores
erkennt, nach dem indoeuropäischen Schema der funktionalen Dreiteilung Männer der zweiten Funktion, die nicht zögern, Blut zu vergießen, was den Klerikern verboten ist. Es scheint, dass die Ausschreitungen der Ritter einer der Hauptgründe für die Empörung der oben erwähnten Friedensbewegung um das Jahr Tausend waren.
Auf die Dauer sollte die Ritterschaft von der Kirche «zivilisiert» werden. Größtenteils, um die Gewalt zu kanalisieren, war die Kirche bemüht, das Ungestüm der Ritter auf fromme Ziele abzulenken, den Schutz der Kirchen, der Frauen und der Waffenlosen – bald aber auch, wie wir sehen werden, auf den Kampf gegen die Ungläubigen außerhalb der Christenheit. Spätestens im 12. Jahrhundert gelang es der Kirche schließlich, die Ritter einigermaßen unter ihre Kontrolle zu bringen. Die Aufnahme in den Ritterstand erfolgte durch eine Zeremonie, die für die künftigen Ritter am Ende ihrer Jugend zugleich einen Initiations- und einen Übergangsritus bedeutete und darin bestand, dass dem jungen Krieger – wie bei den germanischen Völkern üblich – die Waffen überreicht wurden. Die Kirche änderte zwar nichts an der Umgürtung mit dem Schwert, einem rein weltlichen Ritual, aber sie führte den Waffensegen für die charakteristischen Ritterwaffen ein, die Lanze mit dem Banner, das Wappenschild und das Schwert. Und sie verlieh dem Bad, das der Zeremonie vorausging, eine christliche Symbolik der Reinheit. Seit Ende des 12. Jahrhunderts erweiterte sie die Zeremonie der Schwertleite um eine Nachtwache mit religiöser Meditation.
Für die europäische Zukunft ist das wichtigste am Phänomen der Ritterschaft die bereits im Mittelalter beginnende Herausbildung eines ritterlichen Mythos, der durch eine spezielle Literatur wenn schon nicht erschaffen, so doch jedenfalls verbreitet wurde. An dieser Stelle muss betont werden, welch großen Platz die Literatur in dem Erbe einnimmt, das aus dem Mittelalter auf Europa überkommen ist. Die Ausbildung des Rittermythos begann mit den Heldenliedern, den chansons degeste . Die beiden Hauptaspekte des Ritters, militärische Tapferkeit und gottgefällige Frömmigkeit, wurden schon am Ende des 11. Jahrhunderts von Roland und Oliver, den beiden Helden des
Rolandslieds
, verkörpert. Es ist ein Loblied auf die Ritter, die dank der ritterlichen Tugenden als die großen Diener des Königs erscheinen: kriegerischer Heldenmut im Dienst der Vasallentreue. Die Nachfolger der
chansons de geste
brachten ritterliche Helden hervor, die nicht weniger erfolgreich waren: Abenteuerromane, die sich aus zwei großen Quellen speisten, den antiken Heldensagen um Aeneas, Hektor und Alexander und dem bretonischen Sagenkreis, das heißt den Großtaten der mehr erdichteten als historischen keltischen Helden, allen voran der berühmte
Weitere Kostenlose Bücher