Die Geburt Europas im Mittelalter
Kreuzzügen, auch Schauplatz neuartiger Ordensgemeinschaften, der Ritterorden. Die wichtigsten dieser militärischen Orden sind die Templer, die Johanniter oder Orden vom Hospital des hl. Johannes zu Jerusalem, der Deutsche Orden vom St. Marien-Hospital, Ordo Theutonicorum, der englische Orden vom Hospital des hl. Thomas zu Akkon und verschiedene andere auf der Iberischen Halbinsel, im spanischen und portugiesischen Milieu. Ihr Auftrag besteht hauptsächlich darin, mit Schwert, Gebet und Bekehrung gegen die
Ungläubigen
und Heiden zu kämpfen – ein grober Verstoß gegen die Regel, der zufolge die Kleriker kein Blut vergießen dürfen. Solchen Neuheiten wenig zugeneigt, lobt der Zisterzienser Bernhard von Clairvaux dennoch die Ritter der
nova militia
, wie er sie nennt, die sich für den Kreuzzug engagieren. Aber diese spezifisch militärischen Orden müssen im allgemeinen Klima einer Verchristlichung des militärischen Verhaltens angesiedelt werden. Auch wenn die Religion nicht militärisch ist, wird sie doch ganz allgemein gesprochen militant. So taucht ein Begriff auf, der ebenfalls noch eine wichtige Rolle spielen wird, der Miltitantismus.
Die Gregorianische Reform: Trennung zwischen Klerikern und Laien
Ich habe die große Bewegung, die im 11. Jahrhundert einen tiefen Wandel der Kirche und der Christenheit in Gang setzte, schon weiter oben erwähnt. Man nennt sie nach dem Namen des Papstes, der sich durch das Reformwerk ausgezeichnet hat, Gregor VII., Papst von 1073 bis 1085. Zunächst als ein Mittel gedacht, die Kirche von der Dominanz der Laien und ihrer Einmischung in kirchliche Angelegenheiten zu befreien, insbesondere das Papsttum den Ansprüchen des deutschen Kaisers zu entziehen, bewirkte die Gregorianische Reform auf einer allgemeineren Ebene die Trennung zwischen Klerikern und Laien, Gott und Cäsar, dem Papst und dem Kaiser. Ganz im Gegensatz zur christlich-orthodoxen Lösung in Byzanz, wo der Cäsaropapismus den Kaiser als eine Art Papst walten ließ, ganz im Gegensatz auch zum Islam, wo das islamische Recht den religiösen und den politischen Bereich unterschiedslos beherrschte und für alles zuständig war, definierte das lateinische Christentum vor allem seit der Gregorianischen Reform eine gewisse Unabhängigkeit und spezifische Verantwortlichkeiten des Laienstandes. Diese Umorganisation bewegte sich im kirchlichen Rahmen. Der Laienstand blieb ein Kirchenglied, aber es gab eine Aufgabenteilung, die im Europa der Reformation und des ausgehenden 19. Jahrhunderts dem darüber hinausweisenden Laizismus den Weg bahnte.
Einer der maßgeblichen Vertreter der Gregorianischen Reform, Humbert von Silva Candida, schreibt: «So wie Kleriker und Laien innerhalb der Gotteshäuser durch ihren Platz und ihre Dienste getrennt sind, so müssen sie sich auch außerhalb nach ihren jeweiligen Aufgaben unterscheiden. Auf dass die Laien sich nur ihrer Pflicht widmen, den Angelegenheiten der Welt, und die Kleriker der ihren, den Angelegenheiten der Kirche. Also wurden den einen wie den anderen genaue Regeln zugewiesen.» Neben dem allgemeinen Prinzip der Trennung zwischen Klerikern und Laien hat die Gregorianische Reform neue gesellschaftliche Rahmenbedingungen definiert und zur Geltung gebracht, die sich in einigen wesentlichen Begriffen zusammenfassen lassen: Pfarrgemeinde, Kindertaufe, Familienzelle, christlicheEhe, Pflicht zum Sakramentenempfang, Regulierung der Sitten durch Drohung mit Höllenstrafen, Gebete für die Verstorbenen (Hervé Martin). Jean-Claude Schmitt macht darauf aufmerksam, dass zu dieser Zeit sogar die Totengeister wiederkehrten, um gregorianische Thesen zu erläutern. Das zeigt, welche Kraft und Tiefe diese Bewegung besaß, die für die europäische Christenheit auf lange Sicht eine der folgenreichsten war.
Der Kampf zwischen Tugend und Laster. Die Entfesselung des Teufels
Das 11. bis 12. Jahrhundert ist zugleich eine Periode grundlegender Wandlungen der Glaubensüberzeugungen und religiösen Praktiken, die in Europa dauerhafte Spuren hinterlassen werden. Ich habe soeben einen neuen Kampfgeist erwähnt, dessen Verbreitung zweifelsohne mit dem Aufstieg der Ritterschaft zusammenhängt. Eine wachsende Kampfbereitschaft durchdringt auch, symbolisch, aber tief, das Reich der Seele und der Frömmigkeit. Mehr denn je hängt das Heil der Menschen vom Ergebnis eines ständigen Konflikts ab, dem Kampf zwischen Tugenden und Lastern. In mittelalterlichen Darstellungen erscheinen die Tugenden als
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