Die Geburt Europas im Mittelalter
Oberhaupt galt Satan, von dem sie entweder buchstäblich
besessen
oder dem sie unterworfen waren. Der Teufel hat mit dem Christentum Einzug nach Europa gehalten und unter seiner Herrschaft eine Vielzahl von Dämonen vereinigt, die vom griechisch-römischen Heidentum oder dem reich bestückten Volksglauben herkamen. Aber der Oberkommandeur sämtlicher Heerscharen des Bösen wurde er erst seit dem 11. Jahrhundert. Seitdem führt er den Reigen der künftigen Verdammten an. Nicht alle Männer und nicht alle Frauen fallen ihm anheim, doch alle sind bedroht, geraten in Versuchung. Die vereinigte Christenheit verleiht dem «Feind des Menschengeschlechts» eine geballte Macht. Sein Werkzeug istdie Häresie. Die Kirche schmiedet die Waffe der Inquisition, um ihn zu bekämpfen. Aber er wird mit seinen Umtrieben lange gegenwärtig bleiben. Der Teufel ist Bestandteil Europas geworden.
Die Randgebiete des feudalen Europa
Am Ende des 12. Jahrhunderts hatten sich die feudalen Institutionen mit kleinen Unterschieden in der gesamten Christenheit durchgesetzt. Es scheint mir interessant, dass sich in den Randzonen Feudalsysteme bildeten, die den ursprünglichen Charakter dieser Gebiete mehr oder weniger bewahrt haben, ohne dass sie dadurch ihre Bedeutung für das christliche Abendland insgesamt verloren hätten. Das gilt für Irland, das im frühen Mittelalter ein bedeutendes Zentrum des Christentums und der Kultur gewesen war und seine christliche Eigentümlichkeit bewahrt, indem es der gälischen Kultur erlaubt, sich reich und lebendig zu entfalten, ja sogar die Gallier und Engländer prägt, die vergeblich versuchen, dieses von ihnen als christliche Barbaren geschmähte Volk zu erobern und zu berauben. Irland liegt in Europa.
Der Fall der Bretagne ist vergleichbar und doch sehr verschieden. Seit dem 4. Jahrhundert von den aus Britannien gekommenen Bretonen besetzt, erreichte die Bretagne im Lauf des Mittelalters eine recht große politische Eigenständigkeit, während der Karolingerzeit in Form eines Königreichs, später, unter den Kapetingern, als Herzogtum. Die bretonischen Herzöge praktizierten eine Schaukelpolitik des Gleichgewichts zwischen Franzosen und Engländern. Der Herzog der Bretagne sollte den zweideutigen Titel «Pair de France» erhalten und schien das Herzogtum im 15. Jahrhundert in eine wirkliche Unabhängigkeit zu führen. Zugleich nutzte die Bretagne ihre geographische Lage, entwickelte ihre Flotte und brachte immer mehr Seeleute und Händler hervor.
Wenden wir uns von den keltischen Ländern den Mittelmeergebieten zu, so ist das Ende des 12. Jahrhunderts auch hier sowohl für die Iberische Halbinsel als auch für Sizilien und Süditalien ein entscheidender Moment. In Spanien schreitet die
Reconquista
mächtig voran, und die Einnahme Toledos im Jahr1085 durch Alfons VI. von Kastilien-León hat einen hohen Stellenwert: Der Glanz dieser Stadt der Begegnung von Christen, Muslimen und Juden, die zahlreiche Übersetzungen aus dem Griechischen, dem Hebräischen oder dem Arabischen hervorbringen, macht sie zu einem Pol des intellektuellen Aufschwungs im christlichen Europa. In Sizilien und Süditalien stärkt die Nachfolge der deutschen Könige, die den letzten Normannenkönig ablösen – 1194 besteigt Heinrich VI. den Thron von Sizilien, 1198 folgt ihm Friedrich II. –, das Gewicht dieser Region innerhalb der Christenheit und verleiht Palermo die herausragende Rolle einer multikulturellen Hauptstadt.
Ein Blick in die andere Richtung, nach Mittel- und Nordeuropa, zeigt die Konsolidierung eines weiteren christlichen Königreichs: Ungarn, vermehrt um Kroatien, das sich mit ihm vereinigt hat. Sein König, Béla III. (1173–1196), bewahrt gute Beziehungen zu den Byzantinern, während er zugleich die Ostgrenze gegen die Nomaden sichert und die Verbindungen zur lateinischen Christenheit belebt, indem er in zweiter Ehe die Tochter des Königs von Frankreich, Ludwigs VII., heiratet. Eine ähnliche Festigung als christliches Fürstentum und Königreich ist in Böhmen und in Polen zu beobachten. Die Herzöge der Premysliden, die sich auf den Kaiser stützten, stärkten ihre Macht durch die Gründung von Abteien und die Verleihung mährischer Apanagen. Die Schaffung besonderer Dörfer zur besseren wirtschaftlichen Nutzung des Königsgutes erlaubte in Polen Boleslaw III. Schiefmund (1107/8–1138) aus dem Geschlecht der Piasten, seine Macht zu festigen. Er unterwarf Pommern und ließ neue Bistümer in Wloclawek,
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