Die Geburt Europas im Mittelalter
wurde als Grund genannt, um den Kurswechsel der christlichen Einstellung zu rechtfertigen. Aber das ist nicht der wesentliche Punkt. Die religiöse und ideologische Begründung der Kreuzzüge ergab sich aus dem Zusammentreffen zweier langwieriger Entwicklungen.
Die erste, die sicher größere Bedeutung hat, bestand in der Bekehrung des Christentums zum Krieg. Das dem Evangelium gemäße Christentum, friedliebend wie Jesus selbst, stand dem Krieg zutiefst feindlich gegenüber. Einer der Hauptgründe der Christenverfolgung unter den römischen Kaisern war die christlicheVerweigerung des Kriegsdienstes gewesen. Diese Verweigerung erklärte sich nicht nur aus dem Unwillen, dem Kaiser einen Eid zu leisten, sondern auch aus der entschiedenen Ablehnung, Blut zu vergießen. Die Haltung der Christen begann sich zu ändern, als das Reich gegen Ende des 4. Jahrhunderts christlich wurde. Von da an wurden seine Untertanen, die bald alle Christen waren, zur Verteidigung des Christenreichs gerufen. Doch das Misstrauen gegen den Krieg blieb noch lange erhalten. Trotz der sich ändernden Einstellung gegenüber der Kriegführung wurden den Bischöfen und dem Klerus allgemein das Tragen von Waffen und das Blutvergießen verboten. Ausnahmen gab es selten. Und die einzige, die von der Kirche akzeptiert, ja sogar gepriesen wurde, bezog sich auf die Ritterorden, die sich seit dem 12. Jahrhundert zur Verteidigung der Heiligen Stätten der Christenheit oder gegebenenfalls auch im Abendland zusammenschlossen, so beispielsweise auf der Iberischen Halbinsel zu ritterlichen Bruderschaften oder in Preußen und Litauen zum Deutschen Orden. Doch am wichtigsten war der Entwurf einer Theorie des gerechten Krieges, deren wesentliche Elemente von Augustinus stammten. Gerecht war ein Krieg, der nicht von einer Einzelperson beschlossen und geführt wurde, sondern von einem mit höchster Autorität begabten Oberhaupt, wie der christliche Kaiser es gewesen war und die Fürsten oder Könige des Mittelalters es werden sollten. Im Übrigen durfte der Krieg kein Angriff sein. Das Christentum hat Präventivkriege immer abgelehnt. Krieg musste eine Antwort auf einen Überfall oder eine Ungerechtigkeit sein, er durfte weder im Geist der Eroberung geführt werden noch um der Beute willen, und er musste das Leben der Waffenlosen – Frauen, Kinder, Mönche, Kaufleute usw. – respektieren. Für besonders legitim hielten die Christen den Krieg gegen die Heiden und die mit Heiden gleichgesetzten Muslime.
Aber es bedurfte noch einer bedeutenden Veränderung, ehe sich der gerechte Krieg in einen heiligen Krieg verwandelte. Die Entwicklung ergab sich größtenteils aus dem Rückgriff des Papsttums auf Krieger, die es zu seiner eigenen Verteidigung heranzog, wie etwa das Heer der Franken, das den Papst unter Karl dem Großen gegen die Langobarden oder, im 11. Jahrhundert, gegen die sizilischen Normannen beschützte. Überhaupthatte der Heilige Stuhl die Tendenz, den militärischen Widerstand christlicher Völker gegen die kaiserlichen Angriffe auf das Papsttum in einen heiligen Krieg zu verwandeln. Währenddessen entflammte das Bild von Jerusalem die Herzen und setzte, wie Paul Alphandéry und Alphonse Dupront wunderbar gezeigt haben, im Lauf des 11. Jahrhunderts die ganze Christenheit in Brand. Das Zusammentreffen mehrerer Ursachen und Motivationen führte am Ende des 11. Jahrhunderts zur Vorbereitung des Kreuzzugs. Die Christenheit hatte einen beachtlichen demographischen und wirtschaftlichen Aufschwung erfahren. Durch das Wachstum der Bevölkerung wurde eine große Zahl von «Jungen» ausgestoßen, die, zumeist Knappen aus ritterlichen Kreisen, die ohne Land und ohne Frauen waren. Georges Duby hat ihre Rolle anschaulich zur Geltung gebracht. Andererseits verschaffte der zunehmende Reichtum dem Adel die Mittel, sich besser zu rüsten und Militärexpeditionen zu unternehmen.
Schließlich nahm die Verchristlichung des Krieges, die mit der Bekehrung der Barbaren begonnen hatte, weiter ihren Lauf. Geweiht, konnte das Schwert sein Werk mit dem Segen der Kirche fortsetzen. Paradoxerweise ging der Kreuzzug größtenteils aus der Friedensbewegung der Jahrtausendwende hervor, zum einen, weil der gerechte Krieg für die Kirche eine Möglichkeit war, Gerechtigkeit und Frieden wiederherzustellen, zum anderen, weil der gerechte Krieg als Bändigung der Gewalt erschien. Die entscheidende Rolle kam dem Papsttum zu. Das Papsttum versprach sich von der Ablenkung der
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