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Die Geburt Europas im Mittelalter

Die Geburt Europas im Mittelalter

Titel: Die Geburt Europas im Mittelalter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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entwickelte sich das alte Wertsystem auf bezeichnende Art und Weise. Die Zahl der für unerlaubt gehaltenen und darum von der Kirche verurteilten Gewerbe ging zurück. So wurde beispielsweise der seit der Antike als schändlich geltende Beruf des Gastwirts rehabilitiert. Am Ende blieben außer Wucher und Prostitution kaum noch Erwerbstätigkeiten übrig, die absolut verdammt wurden; wobei sich der Vorwurf des Wuchers, wie wir noch sehen werden, schnell auf bestimmte Praktiken von zweitrangiger Bedeutung beschränkte, etwa das im Wesentlichen von den Juden praktizierte Gebrauchsdarlehen. Und selbst die Prostitution wurde geduldet, wenn nicht gar gefördert.
    Die Kirche gestattete die Prostitution als eine Folge der Erbsünde und der menschlichen Schwäche des Fleisches. Außerdem war das «männliche Mittelalter», wie Georges Duby es genannt hat, weniger als andere Gesellschaften über ein Verhalten schockiert, das den Männern Vorteile auf Kosten der Frauen verschaffte. Im 13. Jahrhundert wollte der ebenso fromme wie rigorose Ludwig der Heilige die Prostitution aus seinem Königreich und insbesondere aus seiner Hauptstadt Paris verbannen. Die Männer seiner Umgebung, einschließlich des Bischofs von Paris, gaben ihm zu verstehen, dass ein solches Vorgehen nicht nur vergebliche Mühe wäre, sondern auch der sozialen Ordnung widerspräche. Die Prostitution war ein Mittel, die Ausschweifungen einer Welt zu kontrollieren, in der es zahlreiche Junggesellen gab, seien es Kleriker oder unverheiratete «Junge», die darunter litten, keine Frau zu haben. Immerhin bemühte sich die Kirche, das Leben der älteren oder reumütigen Prostituierten zu «humanisieren» und zu evangelisieren. Seit dem 12. Jahrhundert galt es als verdienstvolles Werk, eine Prostituierte zu heiraten. Die Kirche gründete den Frauenorden der Magdalenerinnen, dessen Klöster Prostituierte aufnahmen. Der Umgang mit der Prostitution scheint in Nordeuropa anders gewesen zu sein als im Süden. In den nördlichen Städten hat es offenbar eine recht große Toleranz gegenüber «Dirnen» und «Frauenwirtinnen» gegeben. Aber mancherorts gab es eine Kleiderordnung, die ihnen eine spezielleKleidung vorschrieb und ihnen verbot, die gleichen Gürtel oder den gleichen Schmuck zu tragen wie die Bürgerfrauen. In der südeuropäischen Christenheit herrschte noch größere Toleranz, weil dort Lupanaren oder Freudenhäuser von den Gemeinden betrieben wurden, die Profit aus den Mieten, Renten und Bußgeldern zogen. Mit dem Aufschwung des Handwerks vermehrte sich die Prostitution dank der wachsenden Zahl armer «Arbeiterinnen». Manche Berufe erschienen suspekt, ohne als unerlaubt eingestuft zu werden, insbesondere der Dienst in Badestuben und Badehäusern, die den auf Reinlichkeit bedachten Menschen des Mittelalters ein wichtiges Anliegen waren, aber Frauen einstellten, die zugleich Prostituierte waren, wie heute in manchen Ländern die Masseusen. Die mit der Entwicklung der Stadtgesellschaften zunehmende Toleranz veranlasste einige Kirchenrechtler des 13. Jahrhunderts, die Prostitution unter bestimmten Bedingungen zu legitimieren. Sie musste aus Gründen der Armut ausgeübt werden, um den Lebensunterhalt zu bestreiten, und nicht um des Vergnügens willen. Die Dirnen durften keine Mittel der Täuschung anwenden wie beispielsweise aufreizende Schminke. Die Prostitution wurde in zunehmendem Maße gewerbeüblichen Reglementierungen unterworfen. So entstand ein heute noch umstrittenes Europa der Prostitution.
Die Hierarchie der städtischen Berufe
    Die Ungleichheit innerhalb der städtischen Gesellschaft zeigte sich vor allem im Bereich derjenigen Berufsstände, die nach und nach die Macht in den Städten übernahmen. In Italien, wo die Organisation der beruflichen Körperschaften am stärksten ausgebildet war, gab es eine große Kluft zwischen den
Arti maggiori
und den
Arti minori
(das lateinische Wort
ars
bezeichnete ein Gewerbe). Florenz hatte das hierarchische System so perfektioniert, dass nicht nur elf
Arti maggiori
als Verbände der reichen Kaufleute und eine noch größere Zahl von den Handwerkern gebildete
Arti minori
unterschieden wurden, sondern die Vormachtstellung allein den ersten fünf der elf
Arti maggiori
vorbehalten war. Bei diesen fünf handelte es sich ausschließlich um Korporationen von Geschäftsleuten, dieim internationalen Handel tätig waren: die
Arte di Calimala
, die Vereinigung der Kaufleute, die im großen Maßstab Wolle ein- und

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