Die Geburt Europas im Mittelalter
Lebensart, den täglichen Gebrauch von Denaren (Münzgeld) und für manche eine notwendige Öffnung zur Welt.»
In diesem Handel und Gewerbe treibenden mittelalterlichen Städter sieht auch Maurice Lombard «einen Menschen jenes Netzwerks, das die verschiedenen Zentren miteinander verbindet, einen nach außen geöffneten Menschen, empfänglich für Einflüsse, die über die Straßen von anderen Städten in seine Stadt gelangen; einen Menschen, der dank dieser Öffnung und der ständig neuen Eindrücke psychologische Fähigkeiten erlangt oder sie zumindest weiterentwickelt, anreichert, und sich gewissermaßen auf dem Weg der Konfrontation seiner selbst klarer bewusst wird».
Der Städter ist Nutznießer einer Gemeinschaftskultur, die sich überall im städtischen Raum ausbildet: in den Schulen, auf dem Marktplatz, in Tavernen, beim Theaterspiel – das zuerst in Klöstern und in Kirchen wieder auflebt, seit dem 13. Jahrhundert dann auf öffentlichen Plätzen, wie das 1288 in Arras aufgeführte
Jeu de la Feuillée
des Adam de la Halle – und natürlich bei der Predigt.
Die Stadt trägt auch zur Emanzipation des Paares und des Individuums bei. Die Familienstruktur wird wesentlich von den neuen Formen der Mitgift bestimmt, die sich im städtischen Milieu auf bewegliche Güter und Geld konzentriert. Die mittelalterliche Stadt ist eine Persönlichkeit, die die Vielzahl der Persönlichkeiten prägt, aus denen sie besteht. Das urbane Europa hat bis heute so manche ihrer Grundzüge bewahrt.
2. Der Erfolg im Handel: Das Europa der Kaufleute
Das 13. Jahrhundert, das Jahrhundert der Städte, ist – eng verbunden mit dem städtischen Aufschwung – auch die Zeit des kommerziellen Erwachens, das den Handel zur Blüte bringt.
Italienische und hansische Kaufleute.
– Die Wiederaufnahme und Entwicklung des Fernhandels im 12. und 13. Jahrhundert sind Bestandteil dessen, was nicht ohne Übertreibung die «kommerzielle Revolution» genannt worden ist. Ein relativer Frieden breitet sich in der Christenheit aus. Hinter der militärischen Fassade der Kreuzzüge, die nur eine heldenhafte Episode außerhalb Europas sind, findet innerhalb der Christenheit ein friedlicher, immer reger werdender Handel statt. Das europäische Geschäftsleben konzentriert sich auf drei große, unterschiedlich beschaffene Zentren. Da das Mittelmeer und der Norden die beiden Anziehungspunkte des internationalen Handels sind, bilden sich gleichsam als christliche Vorposten gegenüber diesen Polen, dem muslimischen im Süden und dem slawisch-skandinavischen im Norden, zwei Säume mächtiger Handelsstädte: der eine in Italien und, weniger bedeutend, in der Provence und in Spanien, der andere in Norddeutschland. Das erklärt die Vormachtstellung der italienischen und hansischen Kaufleute. Aber zwischen diesen beiden Bereichen entwickelt sich eine Verbindungszone, deren Originalität darin besteht, dass sie dem Warenaustausch sehr bald eine industrielle Produktion hinzufügt. Es handelt sich um Nordwesteuropa – und zwar Südostengland, die Normandie, Flandern, die Champagne, die Moselländer und den Niederrhein. Letzterer wird zum Zentrum der Tuchgewerbe und Textilverarbeitung und ist neben Nord- und Mittelitalien die einzige Region im mittelalterlichen Europa, deren produzierendes Gewerbe man als Industrie bezeichnen kann.
Der fahrende europäische Kaufmann.
– Die Kaufleute im mittelalterlichen Europa waren in erster Linie Handlungsreisende, behindert durch den schlechten Zustand der Straßen, unzulängliche Verkehrsmittel für den Warentransport, die Unsicherheit und vielleicht mehr noch durch Steuern, Zölle, Gebühren aller Art, die von zahllosen Grundherren, Städten und Gemeinschaften bei der Überquerung einer Brücke, einer Furt oder beim bloßen Transit durch herrschaftliche Territorien erhoben wurden. Im 12. bis 13. Jahrhundert bestand der einzige bemerkenswerte Fortschritt dieses Binnenhandels im Bau zahlreicher Brücken über die Flüsse. Eine besonders wichtige undkühne Konstruktion war 1237 die erste Hängebrücke am St. Gotthard, die den kürzesten Weg zwischen Deutschland und Italien erschloss. Aber die bevorzugten Handelsstraßen führten über die Flüsse und das Meer. Am bedeutendsten waren der Weg über den Po mit seinen Zuflüssen und der zu Maas und Mosel führende Weg über die Rhône. Das verzweigte Netz der flandrischen Flüsse schließlich, das seit dem 12. Jahrhundert durch ein künstliches System von Kanälen,
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