Die Geburt Europas im Mittelalter
schlechthin betrachtet wurde.
Das große Ereignis war die Gründung der Stadt Lübeck im Jahr 1159 durch den Grafen von Holstein, Adolf II. von Schauenburg, der als Vasall im Dienst des Sachsenherzogs Heinrichs des Löwen stand und sowohl den Aufbau als auch das Regiment der Stadt einem «Unternehmerkonsortium» anvertraute, wie Fritz Rörig es genannt hat. Lübeck sollte sich an die Spitze des als «Hanse» bezeichneten städtischen Reichs der Kaufleute setzen. Bis zur Mitte des 13. Jahrhunderts trugen die deutschen Kaufleute aus Lübeck zur Prosperität der gotländischen Kaufleute bei, in deren Heimat sie sich zahlreich niederließen. Visby, die Hauptstadt von Gotland, erlebte einen ebenso rasanten wie kurzlebigen Aufstieg. Um die Mitte des 13. Jahrhunderts wurde Visby mit einer 11.200 Fuß langen Steinmauer umgeben, die mindestens eine Fläche von der Größe Lübecks umschloss. Die Ruinen von achtzehn mittelalterlichen Kirchen, von denen die größte, die zwischen 1190 und 1225 erbaute Marienkirche, die Pfarrkirche der deutschen Genossenschaft war, legen noch heute Zeugnis des lebhaften Handels im Norden Europas ab, dessen Drehkreuz Visby für kurze Zeit war. Lübeck ersetzte und überholte Visby in dieser Rolle. Durch den Aufbau einer Handelsflotte aus
Koggen
, die sich mit den italienischen Galeeren messen konnten und höhere Tragfähigkeit besaßen, riss Lübeck die Führung über ein gewaltiges See- und Handelsnetz an sich. Dabei stützte es sich auf neue Städte wie Rostock, Stralsund, Stettin an der Oder, eine slawische Stadt mit wachsenden deutschen Vierteln, Danzig an der Weichsel oder das preußische (heute polnische) Elbing, auf dessen Siegel vom Anfang des 13. Jahrhundertssich die älteste Darstellung des Heckruders befindet. Darüber hinaus koordinierte Lübeck seine Handelsaktivitäten mit den Bekehrungs- und Eroberungsbestrebungen des neu gegründeten Deutschen Ordens, der in Preußen auf dem Vormarsch war.
Die Lübecker und ganz allgemein die norddeutschen Kaufleute begünstigten die Gründung von Kalmar und vor allem, um 1250, Stockholm in Schweden sowie Bergen in Norwegen. Ihr Handelsreich dehnte sich aber auch nach Westen aus. Im Zuge dieser Expansion begannen sie, zusammen mit anderen Kaufleuten aus dem Ostseeraum die englischen Häfen aufzusuchen: Yarmouth, Lynn, Hull, Boston und schließlich London. Der König von England, Heinrich III., verlieh 1266 den Hamburger und 1267 den Lübecker Kaufleuten das Privileg, eine eigene Genossenschaft nach dem Vorbild der Kölner Hanse zu bilden. Bei dieser Gelegenheit tauchte das Wort «Hanse» zum ersten Mal für einen Zusammenschluss norddeutscher Kaufleute auf.
Auch die Gräfin von Flandern gewährte den deutschen Kaufleuten 1252 und 1253 eine Reihe von Privilegien. Der hansische Handel erlebte einen fortwährenden Aufschwung, bis 1356 der erste allgemeine Hansetag zusammentrat und die Bildung der Städtehanse besiegelt wurde.
Parallel dazu blühte Brügge auf und festigte seine Stellung als Handelsplatz, der, wie es bei Dollinger heißt, «im Begriff war, der Weltmarkt des Westens» zu werden. In Brügge verkehrten Kaufleute aller Nationalitäten: Engländer, Schotten und Iren, die Wolle für die Tuchindustrie brachten, Holländer und Friesen, die ihr Vieh verkaufen wollten, Kaufleute von der englisch-französischen Atlantikküste zwischen La Rochelle und Bayonne, die ihren Wein feilboten, sowie Spanier und Portugiesen, die ebenfalls Wolle, aber auch Südfrüchte lieferten.
Die Italiener zogen sich mehr oder weniger von den Champagnemessen zurück und ließen sich in Brügge nieder, das sie zum wichtigsten Finanzplatz Nordeuropas machten. Seit Ende des 13. Jahrhunderts fuhren erst genuesische, dann venezianische Galeeren regelmäßig im Konvoi mit ihren Gewürzladungen in den Swin. Durch den Seehandel entstand eine europäische Wirtschaftswelt, die von Italien bis Flandern und zur Ostsee reichte.
3. Der Erfolg der Schulen und Universitäten
Im städtischen, Handel treibenden Europa war das 13. Jahrhundert auch das Zeitalter der Schulen und der Universitäten. Wie wir gesehen haben, hatten sich die von den Bürgern geförderten städtischen Schulen seit dem 12. Jahrhundert vermehrt. Doch obgleich die Elementar- und Sekundarschulen dem Unterricht in Europa eine wesentliche Basis verschafften, erregten die Hochschulen, die den Namen «Universität» erhielten und eine bis heute lebendige Tradition eröffneten, bei weitem das größte
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