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Die Gedichte

Die Gedichte

Titel: Die Gedichte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer Maria Rilke
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Streben
hinausgedrängt hat aus der Mitte Leben;
nun warten wir, daß einer niedergrübe
zurück zu euch, damit wir beides wären,
zertrennt und einig. Könnten wir als Schläfer
wenigstens weilen in den innern Sphären
und wachend wissen, daß wir unten Käfer,
Wurm, Larve waren, vor uns selbst versteckt;
kein selig sich vermählendes Insekt,
nein, meinetwegen eins mit halbzerstörten
Florflügeln, welches schon Verzicht getan
auf einen Teil der in den Lebensplan
der dumpfen Einfalt eingeweihten Beine …
Nur daß wir einmal in das Eine
hineingehörten!

    Solang du Selbstgeworfnes fängst, ist alles
Geschicklichkeit und läßlicher Gewinn – ;
erst wenn du plötzlich Fänger wirst des Balles,
den eine ewige Mit-Spielerin
dir zuwarf, deiner Mitte, in genau
gekonntem Schwung, in einem jener Bögen
aus Gottes großem Brücken-Bau:
erst dann ist Fangen-Können ein Vermögen, –
nicht deines, einer Welt. Und wenn du gar
zurückzuwerfen Kraft und Mut besäßest,
nein, wunderbarer: Mut und Kraft vergäßest
und schon geworfen hättest … . . (wie das Jahr
die Vögel wirft, die Wandervogelschwärme,
die eine ältre einer jungen Wärme
hinüberschleudert über Meere – ) erst
in diesem Wagnis spielst du gültig mit.
Erleichterst dir den Wurf nicht mehr; erschwerst
dir ihn nicht mehr. Aus deinen Händen tritt
das Meteor und rast in seine Räume …

    GEGEN-STROPHEN

    Oh, daß ihr hier, Frauen, einhergeht,
hier unter uns, leidvoll,
nicht geschonter als wir und dennoch imstande,
selig zu machen wie Selige.

    Woher,
wenn der Geliebte erscheint,
nehmt ihr die Zukunft?
Mehr, als je sein wird.
Wer die Entfernungen weiß
bis zum äußersten Fixstern,
staunt, wenn er diesen gewahrt,
euern herrlichen Herzraum.
Wie, im Gedräng, spart ihr ihn aus?
Ihr, voll Quellen und Nacht.

    Seid ihr wirklich die gleichen,
die, da ihr Kind wart,
unwirsch im Schulgang
anstieß der ältere Bruder?
Ihr Heilen.

    Wo wir als Kinder uns schon
häßlich für immer verzerrn,
wart ihr wie Brot vor der Wandlung.

    Abbruch der Kindheit
war euch nicht Schaden. Auf einmal
standet ihr da, wie im Gott
plötzlich zum Wunder ergänzt.

    Wir, wie gebrochen vom Berg,
oft schon als Knaben scharf
an den Rändern, vielleicht
manchmal glücklich behaun;
wir, wie Stücke Gesteins,
über Blumen gestürzt.

    Blumen des tieferen Erdreichs,
von allen Wurzeln geliebte,
ihr, der Eurydike Schwestern,
immer voll heiliger Umkehr
hinter dem steigenden Mann.

    Wir, von uns selber gekränkt,
Kränkende gern und gern
Wiedergekränkte aus Not.
Wir, wie Waffen, dem Zorn
neben den Schlaf gelegt.

    Ihr, die ihr beinah Schutz seid, wo niemand
schützt. Wie ein schattiger Schlafbaum
ist der Gedanke an euch
für die Schwärme des Einsamen.
[Ihr, wo alles erblindet,
Spiegel des Einhorns!]
[Oh verwandelt euch nicht!
Bleibt Unbegreifliche, auch
wenn der bemühte Beruf
euch zu Erklärlichen stellt.
Ihr seid die Anderen, selbst,
wo ihr das Ähnliche tut.]

    Wir, in den ringenden Nächten,
wir fallen von Nähe zu Nähe;
und wo die Liebende taut,
sind wir ein stürzender Stein.
    * Das Wort ›Tempraments‹ ist in der Niederschrift des Grafen sichtlich das ursprüngliche gewesen – , scheint ihm aber dann doch nicht genügt zu haben; es ist schwer, dieses Wort, das nur eine Anwendungs-Art unserer Begabungen bedeutet, in so gründlich-mittlerem Sinne zuzugeben. So wurde es denn auch durchgestrichen und durch ›Elements‹ ersetzt, nicht ohne ein gewisses Bedauern – , möchte man aus dem Benehmen seiner Hand vermuten. (Anmerkung des Copisten.)

DUINESER ELEGIEN

Aus dem Besitz der Fürstin Marie von Thurn und Taxis-Hohenlohe

    (1912/1922)

DIE ERSTE ELEGIE

    Wer, wenn ich schriee, hörte mich denn aus der Engel
Ordnungen? und gesetzt selbst, es nähme
einer mich plötzlich ans Herz: ich verginge von seinem
stärkeren Dasein. Denn das Schöne ist nichts
als des Schrecklichen Anfang, den wir noch grade ertragen,
und wir bewundern es so, weil es gelassen verschmäht,
uns zu zerstören. Ein jeder Engel ist schrecklich.
Und so verhalt ich mich denn und verschlucke den Lockruf
dunkelen Schluchzens. Ach, wen vermögen
wir denn zu brauchen? Engel nicht, Menschen nicht,
und die findigen Tiere merken es schon,
daß wir nicht sehr verläßlich zu Haus sind
in der gedeuteten Welt. Es bleibt uns vielleicht
irgend ein Baum an dem Abhang, daß wir ihn täglich
wiedersähen; es bleibt uns die Straße von gestern
und das verzogene Treusein einer Gewohnheit,
der es bei uns gefiel, und so blieb sie und ging

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