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Die Gedichte

Die Gedichte

Titel: Die Gedichte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer Maria Rilke
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ihm selbst
fruchtet die Kindheit. Reinlich
in der verfallnen Natur hält sie ihr herzliches Beet.
Nicht, daß sie harmlos sei; der behübschende Irrtum,
der sie verschürzt und berüscht, hat nur vergänglich getäuscht.
Nicht ist sie sichrer als wir und niemals geschonter;
keiner der Göttlichen wiegt ihr Gewicht auf. Schutzlos
ist sie wie wir, wie Tiere im Winter, schutzlos.
Schutzloser: denn sie erkennt die Verstecke nicht. Schutzlos,
so als wäre sie selber das Drohende. Schutzlos
wie ein Brand, wie ein Ries’, wie ein Gift, wie was umgeht
nachts, im verdächtigen Haus, bei verriegelter Tür.
Denn wer begriffe nicht, daß die Hände der Hütung
lügen, die schützenden – , selber gefährdet. Wer darf denn?

    Ich!
– Welches Ich?
Ich, Mutter, ich darf . Ich war Vor-Welt.
Mir hats die Erde vertraut, wie sie’s treibt mit dem Keim,
daß er heil sei. Abende, o, des Vertrauens, wir regneten beide,
still und aprilen, die Erde und ich, in den Schoß uns.
Männlicher! ach, wer beweist dir die trächtige Eintracht,
die wir uns fühlten. Dir wird die Stille im Weltall
niemals verkündet, wie sie sich schließt um ein Wachstum. –
Großmut der Mütter, Stimme der Stillenden. Dennoch!
Was du da nennst, das ist die Gefahr, die ganze
reine Gefährdung der Welt – , und so schlägt sie in Schutz um,
wie du sie völlig erfühlst. Das innige Kindsein
steht wie die Mitte in ihr. Sie aus -fürchtend, furchtlos.
Aber die Angst! Sie erlernt sich auf einmal im Abschluß,
den das Menschliche schafft, das un dichte. Zugluft,
zuckt sie herein durch die Fugen. Da ist sie. Vom Rücken
huscht sie es an überm Spielen, das Kind, und zischelt
Zwietracht ins Blut – , die raschen Verdachte, es würde
immer ein Teil nur, später, ergreiflich sein, immer
irgend ein Stück, fünf Stücke, nicht einmal
alle verbindbar, des Daseins, und alle zerbrechlich.
Und schon spaltet sie an, im Rückgrat, des Willens
Gerte, daß sie gegabelt, ein zweifelnder Ast am
Judas-Baume der Auswahl, wachsend verholze.
… … … … … … … … … … … … …
… … … … … … … … … … … … …

    NIKE
Zu einer antiken Figur:
(kleine Nike an der Schulter des Helden)

    Der Sieger trug sie. War sie schwer? Sie schwingt
wie Vor-Gefühl an seinem Schulterbuge;
in ihrem leis ihm eingeflößten Fluge
bringt sie den Raum ihm leer , den er voll-bringt.

    Sie wandelt Weite um in ein Gefäß,
damit sein Handeln nicht im Wind zerstiebe.
Sie flog zum Gott – , und zögert ihm zu liebe,
und ihr zu lieb wird er dem Maß gemäß.

    Wer aber weiß von uns? Nicht Baum, noch Sterne,
nicht die vergangnen Helden, die wir gerne
beriefen – , ach, nicht einmal unser Haus!
Kleingläubige, so lobet doch die Ferne:
nur weil sie fern sind, drücken sie uns aus.

    Aufstehn war Sagen damals. Schlafengehn
war abermals ein Sagen der Gesichte.
Das Herz stand früh und abends im Gerichte,
mit eingeständigem Geschehn.

    So hat sich diesem innersten Diktate
schließlich die Hand erschrockener gefügt;
wohin die Zeile ging? – Sie ging zu Rate
mit jenem Geist, dem sie genügt.

    Weißt du, Gewölk von jenem offnen Grau,
durch das sich endlos Räume offenbaren
drin höher, über jeder Vogelschau,
Stern-Blicke gehn seit Myriaden Jahren,
die uns zuweilen treffen durch ein Grau,

    aus dem wir tauchen: wunderlich erreicht
von weitem Einfluß. Manchmal angezogen
von Eigensinn der Erde, manchmal leicht
(plötzlich) von allen Welten überwogen …
… … … … … … … … … … … …

    HAI-KAI

    Kleine Motten taumeln schauernd quer aus dem Buchs;
sie sterben heute Abend und werden nie wissen,
daß es nicht Frühling war.

    Daß Demut je in Stolzsein überschlüge – ,
o Zauber aller Zauber – : wie geschähs?
Was wird aus stolzer Demut? Wird sie Lüge? –
Nein: sie wird Überfluß – und der Genüge
am Überfluß das herrlichste Gefäß.

    Wenn es ein Herz zu jener Stille bringt,
die Dingen eigen ist, zu reinem Warten,
wird es (mitten im Schicksal) unbedingt
und schuldlos offen: siehe: wie ein Garten,
dem, hingegeben, daß er giebt, gelingt.

    O
das Proben
in allen Vögeln geschiehts.
Horch, die kleine Treppe des Lieds,
und oben:
noch nichts
doch
der Wille
so groß schon und größer das Herz;
sein Wachsen im Raume unendlich gewährts
die Stille:
des Lichts.
    (In Oster-Ei-Form)

    So oft du auch die Blumen der vertrauten
spielenden Wiesen dir zum Kranze wandest
und wie zur Probe, froh, im Schmucke standest,
vor jenen Augen, die dich täglich schauten –

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