Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Gedichte

Die Gedichte

Titel: Die Gedichte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer Maria Rilke
Vom Netzwerk:
leise entgegenweinen …

    Wenn ich manchmal in meinem Sinn
ein Begegnen dem andern vergleiche:
du bist immer die reichende Reiche
wenn ich der dürftige Bettler bin.
Wenn du mir leise entgegenlebst
und, kaum lächelnd, mit einem Male
deine Hand aus Gewändern hebst,
deine schöne, schimmernde, schmale …:

    in meiner Hände hingehaltne Schale
legst du sie leichtgelenk,
wie ein Geschenk.

    Unsere Träume sind Marmorhermen,
die wir in unsere Tempel stellen,
und sie mit unseren Kränzen erhellen,
und sie mit unseren Wünschen erwärmen.

    Unsere Worte sind goldene Büsten,
die wir durch unsere Tage tragen;
die lebendigen Götter ragen
in der Kühle anderer Küsten:

    Wir sind immer in e i n e m Ermatten,
ob wir rüstig sind oder ruhn,
aber wir haben strahlende Schatten,
welche die ewigen Gesten tun.

    Einmal, am Rande des Hains,
stehn wir einsam beisammen
und sind festlich, wie Flammen –
fühlen: Alles ist Eins.

    Halten uns fest umfaßt;
werden im lauschenden Lande
durch die weichen Gewande
wachsen wie Ast an Ast.

    Wiegt ein erwachender Hauch
die Dolden des Oleanders:
sieh, wir sind nicht mehr anders,
und wir wiegen uns auch.

    Meine Seele spürt,
daß wir am Tore tasten.
Und sie fragt dich im Rasten:
Hast Du mich hergeführt?

    Und du lächelst darauf
so herrlich und heiter
und: bald wandern wir weiter:
Tore gehn auf …

    Und wir sind nichtmehr zag,
unser Weg wird kein Weh sein,
wird eine lange Allee sein
aus dem vergangenen Tag.

    … Bannt mich die Arbeit an den Rand des Pultes:
es rauscht um mich wie tausend Cherubim;
es findet mich in Tagen des Tumultes
und in der Stille finde ich zu ihm:

    Das ist das Lied, das deine Tage sind.

    Und wenn es dunkelte, so ist um keinen
so tiefe Schweigsamkeit, so weites Land …
Ich höre Ungeklungnes. Und mein Weinen
ist einer tiefen Seligkeit verwandt:

    der Seligkeit, die deine Nacht verschweigt.

    Fragst du mich: Was war in deinen Träumen,
ehe ich dir meinen Mai gebracht?
War ein Wald. Der Sturm war in den Bäumen
und auf allen Wegen kam die Nacht.

    Waren Burgen die in Feuer standen,
waren Männer, die das Schlachtschwert schlugen,
waren Frauen, die in Wehgewanden
Kleinod weinend aus den Toren trugen.

    Kinder waren, die an Quellen saßen,
und der Abend kam und sang für sie,
sang solang, bis sie das Heim vergaßen
über seiner süßen Melodie.

    Und ob ihr mich von Herd und Heimat triebt
noch eh ich wußte, wie die Winde wehn,
und ob ihr mich von Herd und Heimat triebt,
ich muß im Fernen nicht im Fremden gehn
und muß nicht bang sein; mir kann nichts geschehn,
seit ich begreife, wie mich alles liebt.

    Ich hab das ›Ich‹ verlernt und weiß nur: wir .
Mit der Geliebten wurde ich zu zwein;
und aus uns beiden in die Welt hinein
und über alles Wesen wuchs das Wir .

    Und weil wir Alles sind, sind wir allein.

    Ich schreite einsam weiter. Mir zuhäupten
fühl ich den Frühling in den Zweigen zittern.
Und einmal werde ich mit unbestäubten
Sandalen warten an den Gartengittern.

    Und du wirst kommen wenn ich dann dich brauche,
und wirst mein Zaudern nehmen als ein Zeichen,
und wirst mir still vom allerletzten Strauche
die vollen Sommerrosen niederreichen.

    … Und dein Haar, das niederglitt,
nimm es doch dem fremden Winde, –
an die nahe Birke binde
einen kußlang uns damit.

    Dann: zu unseren Gelenken
wird kein eigner Wille gehn.
Das, wovon die Zweige schwenken
das, woran die Wälder denken
wird uns auf und nieder wehn.

    Näher an das Absichtslose
sehnen wir uns menschlich hin;
laß uns lernen von der Rose
was du bist und was ich bin …

    O rüste dich. Leg jeden Abend leise
von deinen Dingen eines in die Truhen.
Denn wenn wir eine weite Reise tuen,
soll alles dienen dieser weiten Reise.

    Laß nur die liebsten Bilder an der Wand.
Und zärtlich aus den Vasen heb die blinden
Mitternachtsblumen. Wenn wir andre finden,
soll keiner wissen mehr: in welchem Land.

    Und laß zurück in deinen dunklen Schränken
die schwarze Tracht. Die Kleider aus dem Gestern.
Dein Leib soll nie mehr dieses Dunkel denken.
Und deine Seele muß ein Kleid ihm schenken,
das ihrem gleicht …
so schreiten sie wie Schwestern …

    Mir ist, als ob ich alles Licht verlöre.
Der Abend naht und heimlich wird das Haus;
ich breite einsam beide Arme aus,
und keiner sagt mir, wo ich hingehöre.

    Wozu hab ich am Tage alle Pracht
gesammelt in den Gärten und den Gassen,
kann ich dir zeigen nicht in meiner Nacht,
wie mich der neue Reichtum größer macht
und wie mir alle Kronen passen?

    Es ist ja

Weitere Kostenlose Bücher