Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Gedichte

Die Gedichte

Titel: Die Gedichte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer Maria Rilke
Vom Netzwerk:
erstem Laut
brach etwas mir entzwei.

    Ich wußte, eh sein Sang begann:
Es wird mein Leben sein.
Sing nicht, sing nicht, du fremder Mann:
Es wird mein Leben sein.
Du singst mein Glück und meine Müh,
mein Lied singst du und dann:
Mein Schicksal singst du viel zu früh,
so daß ich, wie ich blüh und blüh, –
es nie mehr leben kann.

    Er sang. Und dann verklang sein Schritt, –
er mußte weiterziehn;
und sang mein Leid, das ich nie litt,
und sang mein Glück, das mir entglitt,
und nahm mich mit und nahm mich mit –
und keiner weiß wohin …

LIEDER DER MÄDCHEN
    I hr Mädchen seid wie die Gärten
am Abend im April:
Frühling auf vielen Fährten,
aber noch nirgends ein Ziel.

    Jetzt sind sie alle schon selber Frauen.
Haben Kinder und Träume verloren,
und Kinder geboren
und Kinder geboren,
und sie wissen: in diesen Toren
werden wir alle in Gram ergrauen.

    Alles ihre hat Raum im Haus.
Nur das Avemarialäuten
hat ihren Herzen noch ein Bedeuten,
und dann kommen sie müd heraus.

    Wenn die Wege zu wachsen beginnen,
kühl aus der blassen Campagna zieht’s:
ihres alten Lächelns entsinnen
sie sich wie eines alten Lieds …

    Geh ich die Gassen entlang,
da sitzen alle die braunen
Mädchen und schauen und staunen
hinter meinem Gang.

    Bis eine zu singen beginnt
und alle aus ihrem Schweigen
sich lächelnd niederneigen:
Schwestern, wir müssen ihm zeigen
wer wir sind.

    Königinnen seid ihr und reich.
Um die Lieder noch reicher
als blühende Bäume.

    Nicht wahr, der Fremdling ist bleich?
Aber noch viel, viel bleicher
sind seine Lieblingsträume,
sind wie Rosen im Teich.

    Das empfandet ihr gleich:
Königinnen seid ihr und reich.

    Die Welle schwieg euch nie,
so seid auch ihr nie still
und singt wie sie;
und was tiefinnen euer Wesen will,
wird Melodie.

    Und ließ den Klang in euch der Schönheit Scham
erstehn?
Erweckte ihn ein junger Mädchengram –
um wen?

    Die Lieder kamen, wie das Sehnen kam,
und werden langsam mit dem Bräutigam
vergehn …

    Die Mädchen sehn: der Kähne Fahrt
kehrt fernher hafenein,
und schauen scheu und dichtgepaart,
wie schwer das weiße Wasser ward:
denn das ist so des Abends Art,
wie eine Angst zu sein.

    Und so ist keine Wiederkehr:
Es kommen von dem müden Meer
die Schiffe schwarz und groß und leer,
kein Wimpel oben fliegt:
als hätte alle irgendwer
besiegt.

    Ihr Mädchen seid wie die Kähne;
an die Ufer der Stunden
seid ihr immer gebunden, –
darum bleibt ihr so bleich;
ohne hinzudenken,
wollt ihr den Winden euch schenken:
euer Traum ist der Teich.
Manchmal nimmt euch der Strandwind
mit bis die Ketten gespannt sind
und dann liebt ihr ihn:
Schwestern, jetzt sind wir Schwäne,
die am Goldgesträhne
die Märchenmuschel ziehn.

    Die blonden Schwestern flochten froh
im Gehn Gesträhn aus goldnem Stroh,
bis alles Land vor ihnen so
wie Gold zu glühn beginnt;
da sagen sie sich: wunderwo
wir hingeraten sind.

    Der Abend wird den Blüten schwer,
die Schwestern stehn in Scham
und halten ihre Hände her
und lauschen lang und lächeln leer, –
und eine jede sehnt sich: wer
ist unser Bräutigam …

    Wenn die blonden Flechterinnen
gehn im Glanz des Abendlands:
sie sind alle Königinnen
und ersinnen und beginnen
ihren eignen Kronenkranz.

    Denn das Licht, darin sie leben,
ist ein großes Gnadegeben –
und es kommt von ihnen her,
und das Stroh, das sie zersträhnen,
trank von ihren Mädchentränen –
und es wurde Gold und schwer.

    Eh der Garten ganz beginnt
sich der Güte hinzugeben,
stehn die Mädchen drin und beben
vor dem zögernden Erleben,
und aus engen Ängsten heben
sie die Hände in den Wind.

    Und sie gehn auf scheuen Schuhn,
als ob sie die Kleider preßten;
und das sind die ersten Gesten,
die sie im Gefühl von Festen
ihrem Traum entgegentun …

    Alle Straßen führen
jetzt grade hinein ins Gold:
die Töchter vor den Türen
haben das so gewollt.

    Sie sagen nicht Abschied den Alten,
und ist doch: sie wandern weit;
wie sie so leicht und befreit
anders einander halten,
und in anderen Falten
um die lichten Gestalten
gleitet das Kleid.

    Noch ahnst du nichts vom Herbst des Haines,
drin lichte Mädchen lachend gehn;
nur manchmal küßt wie fernes, feines
Erinnern dich der Duft des Weines, –
sie lauschen, und es singt wohl eines
ein wehes Lied vom Wiedersehn.

    In leiser Luft die Ranken schwanken,
wie wenn wer Abschied winkt. – Am Pfad
stehn alle Rosen in Gedanken;
sie sehen ihren Sommer kranken,
und seine hellen Hände sanken
leise von seiner reifen Tat.

    Mädchen singen:

    Die

Weitere Kostenlose Bücher