Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Gedichte

Die Gedichte

Titel: Die Gedichte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer Maria Rilke
Vom Netzwerk:
Gebeine,
die einstens ruhten in dem Schreine,
doch uns erhalten blieb – – – der Geist!«

    ABEND

    Einsam hinterm letzten Haus
geht die rote Sonne schlafen,
und in ernste Schlußoktaven
klingt des Tages Jubel aus.

    Lose Lichter haschen spät
noch sich auf den Dächerkanten,
wenn die Nacht schon Diamanten
in die blauen Fernen sät.

    JAR. VRCHLICKÝ

    Ich lehn im Armstuhl, im bequemen,
wo oft ich Ungemach vergaß,
müd nicken krause Chrysanthemen
im hohen Venezianerglas.

    Ich las in einem Band Gedichte
gar lange; wie die Zeit entschwand!
Jetzt erst im Abenddämmerlichte
leg ich sie selig aus der Hand.

    Mir ist, von göttlichen Problemen
hätt ich die Lösung jetzt erlauscht, –
hat mich der Hauch der Chrysanthemen,
hat mich Vrchlickýs Buch berauscht?

    IM KREUZGANG VON LORETTO

    Still ist es in dem Kreuzgang, in dem alten,
wo über krausen Säulenarabesken
herniederschaun aus halbverwischten Fresken
geheimnisvolle Heiligengestalten.

    Wo eine Wachsmadonna, die man zeiht
so manchen gnadenvollen Heilmirakels,
prangt hinterm grauen Glas des Tabernakels
im silberübersäten Seidenkleid.

    Spannt über Blättergold Spätsommerhaar
sich draußen auch im Klosterhof Lorettos, –
vor einem Bild im Stile Tintorettos
steht selig still ein junges Liebespaar.

    DER JUNGE BILDNER

    Ich muß nach Rom; in unser Städtchen
kehr ich aufs Jahr mit Ruhm zurück;
nicht weinen; sieh, geliebtes Mädchen,
ich mach in Rom mein Meisterstück.

    Er sprachs; dann zog er fort im Rausche
durch jene Welt, die er erhofft;
doch war ihm, seine Seele lausche
auf einen innern Vorwurf oft.

    Die Unrast trieb ihn heim, die arge:
Er bildete mit nassem Blick
sein armes, fahles Lieb im Sarge,
und das – das war sein Meisterstück.

    FRÜHLING

    Die Vögel jubeln – lichtgeweckt –,
die blauen Weiten füllt der Schall aus;
im Kaiserpark das alte Ballhaus
ist ganz mit Blüten überdeckt.

    Die Sonne schreibt sich hoffnungsvoll
ins junge Gras mit großen Lettern.
Nur dorten unter welken Blättern
seufzt traurig noch ein Steinapoll.

    Da naht ein Lüftchen, fegt im Tanz
hinweg das gelbe Blattgeranke
und legt um seine Stirn, die blanke,
den blauenden Syringenkranz.

    LAND UND VOLK

    … Gott war guter Laune. Geizen
ist doch wohl nicht seine Art;
und er lächelte: da ward
Böhmen, reich an tausend Reizen.

    Wie erstarrtes Licht liegt Weizen
zwischen Bergen, waldbehaart,
und der Baum, den dichtgeschart
Früchte drücken, fordert Spreizen.

    Gott gab Hütten; voll von Schafen
Ställe; und der Dirne klafft
    vor Gesundheit fast das Mieder.
    Gab den Burschen all, den braven,
in die rauhe Faust die Kraft,
    in das Herz – die Heimatlieder.

    DER ENGEL

    Hin geh ich durch die Malvasinka
die Kinderreih, wo sanft und gut
die kleine Anka oder Ninka
in ihrem letzten Bettchen ruht.

    Auf einem schmalen Schollenhügel
kniet, ganz versteckt in hohem Mohn,
mit staubigem, gebrochnem Flügel
ein Engelchen aus rohem Ton.

    Das flügellahme Kindchen flößte
mir Mitleid ein, – das arme Ding …
Da, sieh! Von seinen Lippen löste
sich leicht ein kleiner Schmetterling. –

    ALLERSEELEN

    I
    Rings liegt der Tag von Allerseelen
voll Wehmut und voll Blütenduft,
und hundert bunte Lichter schwelen
vom Feld des Friedens in die Luft.

    Sie senden Palmen heut und Rosen;
der Gärtner ordnet sie mit Sinn –
und kehrt zum Eck der Glaubenslosen
die alten, welken Blumen hin.

    II
    »Jetzt beten, Willy, – und nicht reden!«
Mit großem Aug gehorcht der Knab.
Der Vater legt den Kranz Reseden
auf seines armen Weibes Grab.

    »Die Mutter schläft hier! Mach ein Kreuz nun!«
Klein-Willy sieht empor und macht
wie ihm befohlen. Ach, ihn reuts nun,
daß er am Weg heraus gelacht!

    Es sticht im Auge ihn – wie Weinen …
Dann gehn sie heimwärts durch die Nacht;
ganz ernst und stumm. Da lockt den Kleinen
beim Ausgang jäh der Buden Pracht.

    Es blinkt durch den Novembernebel
herüber lichtbeglänzter Tand;
er sieht dort Pferdchen, Helme, Säbel
und küßt dem Vater leis die Hand.

    Und der versteht. Dann gehn sie weiter …
Der Vater sieht so traurig aus. –
Doch einen Pfefferkuchenreiter
schleppt Willy selig sich nach Haus.

    BEI NACHT

    Weit über Prag ist riesengroß
der Kelch der Nacht schon aufgegangen;
der Sonnenfalter barg sein Prangen
in ihrem kühlen Blütenschoß.

    Hoch grinst der Mond, der schlaue Gnom,
und neckend streut er das Gesträhne
der weißen Silberhobelspäne
hernieder in den Moldaustrom.

    Da plötzlich, wie beleidigt, hat
zurückgerufen er die Strahlen,
weil

Weitere Kostenlose Bücher