Die Gefährtin des Medicus
indes schien sich nicht daran zu stören. Von Schmerzen und Anstrengung verwirrt, dachte sie wohl, der Fremde wäre tatsächlich ein Priester, und begann stockend ihre Sünden aufzuzählen.
Alaïs prustete los. Bethilie und Régine hingegen spitzten neugierig die Ohren. Die Worte waren zu wirr, um daran Anstoß zu nehmen, doch Alaïs war sich sicher, dass Bethilie sich hinterher mancherlei Untaten zusammenreimen würde, um sie raunend im Dorf zu erzählen.
»Halt den Mund!«, rief Caterina. »Er ist kein Priester, er ist …«
»Ich bin
Cyrurgicus«,
sagte der Fremde. Seine Stimme klang rau und bestimmt. Da er sich immer tiefer über Louise beugte, fielen ihm seine braunen Haare ins Gesicht, schweißverklebt und so schief geschnitten, als wären sie ohne jede Sorgfalt mit einem Messer abgesäbelt worden. Alaïs’ Blick glitt über seine restliche Gestalt. Sonderlich wohlhabend sah er nicht aus. Die Tunika aus Leinen war von Flecken übersät, was kein Wunder war, wenn sein Trachten, sich rein zu halten, immer so gering ausfiel wie jetzt. über der Tunika trug er ein aus kratzender Wolle gefertigtes, knielanges Obergewand, doch während ein solches bei den meisten Männern lange ärmel besaß, war es bei ihm auf Schulterhöhe abgerissen – offenbar um ihn in Augenblicken wie diesem nicht zu stören. Die hüfthohen Beinlinge waren von Löchern und Rissen übersät.
»Fasst sie nicht an!«, zischte Caterina, die sich nun unwirsch zwischen ihn und die Gebärende drängte. »Ich bin die Hebamme!«
Der Fremde warf nur einen kurzen Blick auf sie, ehe er sich wieder Louise zuneigte. »Offensichtlich keine gute.«
Alaïs hörte, wie die Mutter scharf den Atem einzog, und musste sich auf die Lippen beißen, um nicht ein zweites Mal loszuprusten. Sie hätte es nicht für möglich gehalten, dass dieser öde Tag noch derart vergnüglich werden konnte.
»Ich hab alles getan, was man tun kann«, erklärte Caterina. »Ich habe …«
Der Fremde hob seine Hand, um sie zum Schweigen zu bringen. »Mag sein«, erklärte er. Alaïs sah, wie seine braunen Augen glänzten. Er drehte sich um, winkte erneut dem anderen Mann zu und griff tief in den Lederbeutel, den jener ihm reichte.
»Mag sein«, wiederholte er. »Aber eine Hebamme kann ihr Leben nicht retten. Das kann nur ich. Ich muss das Kind aus ihr herausschneiden.«
Louise hatte die Worte des Fremden nicht mehr gehört. Ihr Kopf war etwas nach hinten gekippt. Die Hände, die sich eben noch auf der Brust ineinander verkrampft hatten, lösten sich und fielen lasch zur Seite. Kurz dachte Alaïs, der Schrecken über diese Worte hätte sie umgebracht, doch ihre Brust hob und senkte sich weiterhin. Wahrscheinlich war die Ohnmacht eine Gnade – vorausgesetzt, der Fremde setzte um, was er da wahnwitzig plante.
Alaïs’ Mutter wollte es ihm keinesfalls gestatten. Beherzt drängte sie ihn wieder von der Gebärenden zurück. »Wie könnt Ihr es wagen! Wie könnt Ihr es wagen, das auch nur in Erwägung zu ziehen!«
Die übrigen Frauen steckten tuschelnd ihre Köpfe zusammen.
Der Fremde hingegen richtete sich zur vollen Größe auf und starrte verächtlich auf Caterina herab. »Ihr wollt also, dass sie stirbt?«
»Ihr könnt das Kind nicht aus ihr herausschneiden! Nicht so lange sie noch lebt! Das ist verboten! Man darf es erst versuchen, wenn sie tot ist!«
Der Fremde schüttelte den Kopf. Sein unregelmäßig geschnittenes Haar fiel ihm erneut ins Gesicht, bedeckte es fast vollends. »Wenn Ihr also die Wahl habt zwischen zwei Leben oder einem, dann entscheidet ihr Euch für Letzteres?«
An der Art und Weise, wie sie ihre Lippen zusammenkniff, gewahrte Alaïs, dass ihre Mutter ins Zweifeln geriet. Hilflos zuckte Caterina die Schultern. »Wer behauptet, Ihr vermögt sie beide zu retten? Wer seid Ihr überhaupt?«
»Mein Name ist Javier Autard. Man nennt mich Aurel, nach dem Dorf, aus dem ich stamme.« Eine Weile beließ er es bei diesem Satz, als genügte die Nennung seines Namens, um seine Anwesenheit zu erklären. Schließlich fügte er jedoch hinzu: »Ichhabe in Montpellier studiert. Medizin mit Schwerpunkt Chirurgie. Ich weiß, wovon ich rede.«
Caterina kniff die Lippen noch fester aufeinander. Alaïs konnte ahnen, was ihrer Mutter durch den Kopf ging. Nicht selten hatte ihr Vater, Caterinas Mann, die Universität von Montpellier gerühmt und voller Bewunderung verkündet, es gebe im Süden Frankreichs keinen besseren Ort, um die Medizin zu erlernen. Wehmut hatte stets
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