Die Gefangene des Elfen 2: Insel des Vergessens (Elven Warrior Series) (German Edition)
Brise streifte ihre Haut. Zögernd ließ sie die Arme sinken. Als sie die Augen öffnete, erblickte sie für einen Moment nur Schwärze, doch dann hörte sie ein Geräusch, das sie nicht erwartet hatte. Womöglich lag es auch nur daran, dass sie sich eben noch in Höhlentunneln aufgehalten hatte, tief im Inneren eines Berges. Es war der Klang eines Nachtvogels.
Nach einiger Zeit gewöhnten sich ihre Augen an die Dunkelheit, und sie fand sich im Freien wieder, obgleich sie über sich keinen Himmel sehen konnte. Sie stand auf einem schmalen Waldweg, flankiert von unglaublich hohen Bäumen. Ihre Äste waren dicht von Blättern bedeckt und verschlungen. Sie bildeten eine bogenförmige Decke, die nur wenig Licht hindurchließ. Igraine hatte keine andere Wahl, als dem Pfad zu folgen. Sie hoffte nur, nicht über eine Wurzel zu stolpern und ihren Knöchel zu verstauchen oder sich ein Bein zu brechen.
Es war äußerst unwahrscheinlich, dass sie jemand an diesem Ort retten würde. Vielleicht war es sogar besser, allein zu sterben, als von den Kreaturen gefunden zu werden, die diesen Wald bewohnten. Er besaß keine Ähnlichkeit mit dem Verzauberten Wald, wo die Ulmen den Prinzen und seine Geliebte willkommen geheißen hatten. Vielmehr hatten die Bäume hier etwas an sich, das sie nur als kalt umschreiben konnte, sogar grausam. Trotz ihrer Angst lächelte sie. Ohne es zu bemerken, hatte sie sich bereits an die Denkweise der Elfen angepasst. Sogar von den Bäumen glaubte sie inzwischen, sie in freundliche und feindliche Wesen einteilen zu müssen, so als seien sie lebendig geworden, mit einem eigenen Bewusstsein. Aber in dieser Welt waren sie es tatsächlich.
Schließlich überwand sie ihre Furcht, indem sie an Elathan dachte. Er war wahrscheinlich längst in den Verliesen unter dem Palast eingesperrt, in Eisenketten gefesselt, vielleicht gefoltert. Sogar hier – wo auch immer sie war – konnte sie seine Gegenwart wie das Licht einer fortwährend brennenden Kerze spüren, tief in ihrer Seele. Mochte er auch weit weg sein, so fühlte sie dennoch seinen Schmerz, seine völlige Hoffnungslosigkeit. Vielleicht bedauerte er sogar, ihr jemals begegnet zu sein, nun, da sie ihn in diese Situation gebracht hatte. Und doch waren sie miteinander verbunden, und sie wusste, dass sein Geist in diesem Augenblick nach ihr griff. Er versuchte, sie in der Dunkelheit zu finden.
Völlig in Gedanken verloren, bemerkte sie erst nach einiger Zeit, dass sie den Pfad verlassen und eine riesige Lichtung betreten hatte. Der Himmel war klar und von zahllosen Sternen übersät. Fahles Mondlicht beleuchtete eine Szenerie, die nur dem Albtraum eines Wahnsinnigen entsprungen sein konnte.
Zweifellos war dies die Stadt der Gargoyles, und sie sah nach einem Ort aus, an dem sich diese Kreaturen wohlfühlen würden. Es war so offensichtlich, dass es beinahe lächerlich war. Wo sonst würden sie sich zu Hause fühlen?
Auf der Lichtung, so gewaltig sie auch war, drängten sich Kirchen, oder genauer gesagt, sieben alte gotische Kathedralen, die meisten davon kaum mehr als Ruinen. Ihre verwitterten Fassaden waren geschwärzt und von Efeu zugewuchert. Einige der Türme waren schon vor langer Zeit eingestürzt und hatten kaum mehr als moosbedeckte Steine zurückgelassen. Die Kirchen, deren Größe von kleinen Gebäuden bis hin zu riesigen Kathedralen reichte, waren in einem exakten Kreis angeordnet, ihre Eingänge einem offenen Hof im Zentrum zugewandt. Er erinnerte an einen mittelalterlichen Dorfplatz, mit einer Mauer aus Stein und einem einzelnen, kargen Baum, der seltsam entstellt wirkte. Mit seinen kahlen, knorrigen Ästen griff er nach dem Himmel wie ein armer Sünder in der Hölle.
Igraine fröstelte. Es dauerte eine Weile, bis sie entdeckte, was sie an dieser Stadt am meisten verstörte. Es schien völlig unmöglich, dass solch ein Ort überhaupt existierte. Zweifellos war er mithilfe von Elfenmagie geschaffen worden. Nichts wünschte sie sich mehr, als sich umzudrehen und um ihr Leben zu laufen, doch ihre Entschlossenheit ließ sie voranschreiten, Schritt für Schritt, bis sie inmitten der Kirchen stand. Erstmals wagte sie, ihren Blick zu heben, und da erblickte sie die Wesen, die bereits auf sie warteten.
Die grotesken Geschöpfe waren überall. Es waren Hunderte, vielleicht Tausende. Sie bewachten ihre Kirchen, hockten auf den Simsen über den Toren, grinsten von Dächern und Türmen herab. Einige sahen nahezu menschlich aus, andere wie Adler,
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