Die Gefangene des Highlanders
das Faustpfand, mit dem David MacAron erpresst werden konnte. Sie selbst, Marian, das Mädchen, das er von Kind auf gekannt hatte, mit der er einmal verlobt gewesen war, existierte für ihn nicht.
Sie kauerte sich in einer Ecke zusammen und sah zu Aisleen hinüber, die unbeweglich auf ihrem Lager ruhte, das Kind dicht neben sich. Die junge Frau hatte die Augen geschlossen, ihr Gesicht war entspannt, und ein kleines, stilles Lächeln lag auf ihren Zügen.
Marian seufzte und dachte darüber nach, dass Aisleen trotz all ihres Unglücks doch auch ein wenig zu beneiden war, denn sie war jetzt vollkommen zufrieden mit sich selbst und dem Rest der Welt. Sie lebte für ihr Kind – mehr brauchte sie im Augenblick nicht.
Und ich?, dachte Marian bekümmert. Ich sitze hier und trauere einem dummen, unsinnigen Traum nach. Jammere um etwas, das es nie gegeben hat. Braden MacDean hat sich schon damals nichts aus mir gemacht, und genau so wenig hat er heute für mich übrig. Früher hat er mich herablassend behandelt und ausgelacht – heute macht er boshafte Witze über mich und kann im gleichen Atemzug hart und grausam sein. Anketten will er mich. Warum nicht gleich ins Turmverlies sperren und dort verhungern lassen?
Warum nicht? Ganz einfach: Das Turmverlies war bei der Zerstörung der Burg zugeschüttet worden. Was für ein Glück. Warum hatte man nicht auch den Rest dieser verdammten Burg dem Erdboden gleich gemacht? Wieso hatte ihr Vater diese Turmruine stehen gelassen?
Sie spürte, dass sie ungerecht wurde und versuchte sich zusammenzunehmen. Braden war an der ganzen, schlimmen Fehde völlig unschuldig gewesen, es war nicht gerecht, dass ihr Vater ihm alles genommen hatte. Und trotzdem gönnte sie ihm im Moment sein Unglück voll und ganz, denn die Eifersucht plagte sie. War es nicht so, dass er immer dann besonders wütend wurde, wenn sie die Sprache auf seine Sarazenenprinzessin brachte? Natürlich – warum war ihr das nicht gleich aufgefallen? Er schien dann regelrecht zu versteinern, und seine grauen Augen wurden eisig. Es gab Marian einen Stich: Braden liebte diese Frau und ließ nicht zu, dass jemand sie beleidigte.
Leise erhob sie sich und schob die Tür ein wenig auf. Draußen herrschte ein fahles Licht, graue Nebel mischten sich mit der einfallenden Dämmerung und ließen Menschen, Tiere, Gebüsch oder Steine zu bizarren Schattenfiguren werden. Kaum waren die aufgehäuften Steinmauern als dunkle Umrisse zu erkennen, der Waldrand war längst in der Gewalt der grauen Nebelfrauen, die ihre Schleier auch über die Burg geworfen hatten und nun mit feuchten Leibern über die Heide krochen.
Von rechts war der Schein eines Feuers zu erkennen, der den Nebel gelblich färbte, ihn jedoch nicht erhellen konnte. Marian sah die schemenhaften Umrisse der Männer, die sich um das Feuer gelagert hatten, offensichtlich hatte man die Arbeit jetzt eingestellt und bereitete die Mahlzeit zu. Ein Wächter schritt dicht an ihr vorüber, starrte in den Nebel hinaus und bemerkte sie nicht.
Es war höchste Zeit, Braden zu beweisen, dass sie, Marian, keineswegs vollkommen hilflos in seiner Gewalt war.
Nebel hatte auch seine Vorteile. Marian schlich ins Turmzimmer zurück, um ihren Mantel umzunehmen, horchte dabei auf die regelmäßigen Atemzüge der jungen Frau und des Säuglings und bewegte sich dann unhörbar zur Tür. Draußen wehten jetzt dichte, graue Schwaden vorüber – die Nebelfrauen hatten die Burgruine erreicht und tanzten nun ihren nächtlichen Reigen über Menschen, Tiere und Steine hinweg.
Sorgfältig setzte sie die Schritte auf ihrem Weg zur Burgmauer, bemüht, ja kein Stöckchen zu zertreten, kein Steinchen unter ihrem Tritt knirschen zu lassen. Sie nutzte herumliegende Steinbrocken und halbhohes Gebüsch um sich zu verbergen, verharrte mit wild klopfendem Herzen an den Boden gepresst, als die schwarze Gestalt des Wächters aus dem Nebel auftauchte und an ihr vorüberging. Nur ein kleines Stück, und er wäre ihr auf die Hand getreten.
Sie robbte sich voran, hoffte inständig, dass keiner der am Feuer sitzenden Männer auf sie aufmerksam würde, denn die Nebel waberten hin und her und gaben die Sicht über den Hügel zeitweise frei. Zweimal stieß sie fast mit einem der Wächter zusammen, doch die waren vollauf damit beschäftigt, die Heide hinter der Mauer zu beobachten und kamen nicht auf die Idee, hinter sich zu sehen.
Dann kam der gefährlichste Moment: Wenn sie über die Mauer kletterte, war sie nicht nur
Weitere Kostenlose Bücher