Die Gefangene des Highlanders
Eichenstamm. Der Waldrand – fast hätte sie den Baum vor Erleichterung umarmt.
Ihre Füße fanden keinen Pfad, sondern nur weichen, moosigen Waldboden, bedeckt mit Farnkraut und Gräsern – doch sie kämpfte sich durch das Unterholz, denn es hatte wenig Sinn, in der grauen Dämmerung nach dem Weg zu suchen. Vor allen Dingen musste sie so tief wie möglich in den Wald eintauchen, um sich hier vor ihren Verfolgern verbergen zu können.
Die Rufe, die vorhin von der Burgruine her zu ihr gedrungen waren, hatte der Wald verschluckt. Stille umgab sie, das leise Knarren der Stämme und Äste hoch über ihr, gedämpftes Rauschen, wenn ein Wind durch das Blattwerk fuhr, kleine Wesen, die vor ihren Füßen davonhuschten. Sie war mit dem Wald vertraut, hatte oft genug in der Morgendämmerung auf schmalen Pfaden ihren Weg zu geheimen Jagdplätzen verfolgt, um im ersten, diffusen Licht des Tages ihre Beute zu machen.
Doch jetzt war es anders. Nicht der Morgen näherte sich, sondern die Nacht – und sie, Marian, war nicht Jägerin, sondern Gejagte.
Langsam und mit Mühe schob sie sich durch das Unterholz, spürte, wie die Äste und Dornen an ihrem Kleid rissen und ihr Hände und Gesicht zerkratzten. Immer wieder blieb sie stehen, horchte auf ein Knacken in den Zweigen, den Schrei eines Nachtvogels oder das knisternde Geräusch, das ein Wesen verursacht, das sich auf leisen Pfoten an ihr vorüber durch den Wald bewegte. Sie wusste, dass ein Luchs nur im äußersten Notfall einen Menschen angriff, dennoch wünschte sie sich ein Messer oder einen Dolch herbei, um sich wenigstens wehren zu können.
Sie dachte gerade darüber nach, ob es nicht besser war, sich irgendwo im Schutz einen großen Baumes zusammenzukauern und dort bis zum Morgen zu verharren – da geschah etwas Unerwartetes.
Die Dunkelheit um sie herum lichtete sich, weißlicher Mondschein drang durch das Blätterdach, senkte sich in schrägen Lichtstreifen bis auf den Waldboden hinab und ließ Stämme und Äste als graue Umrisse sichtbar werden. Wie ein feiner Schleier lag noch ein Rest von Nebel über dem Gezweig, und Marian erblickte im Gewirr der Bäume und Wurzeln seltsame dunkle Formen, die sich zu bewegen schienen.
Waldgeister, dachte sie und versuchte, ruhig zu bleiben. Es gab gute und böse Geister in den Wäldern, Zwerge und Elfen, die den Menschen in ihre geheimen Reiche locken und dort für immer festhalten konnten, aber auch Wiedergänger von armen Seelen, die irgendwann durch Gewalt zu Tode gekommen waren. Auch konnte man Wesen begegnen, die auf der Schwelle zwischen Leben und Tod standen – wer zu nächtlicher Stunde seinen eigenen Doppelgänger traf, der würde innerhalb weniger Tage sterben.
Ein gedämpfter Ruf erklang, Zweige brachen – jemand kämpfte sich durchs Unterholz. Marian spürte Panik – das war kein Wiedergänger und auch kein Geist, sondern ein Wesen aus Fleisch und Blut, das zudem noch ziemlich kräftig sein musste, denn es knackten nicht nur kleine Äste unter seinen Bewegungen, sondern auch dicke Zweige. Wer auch immer dort im Unterholz herumwühlte – er schien eine ziemliche Wut im Bauch zu haben.
Verdammtes Mondlicht, dachte sie. Auch auf die Nebelfrauen war kein Verlass, die tückischen Weiber hatten sie an der Nase herumgeführt und sich genau in dem Moment davongemacht, als die Verfolger ihr direkt auf den Fersen waren. Marian raffte den Mantel eng um den Körper und schlüpfte durch das Gezweig, bemüht, dabei so wenig Geräusche wie möglich zu machen. Im mondbeschienenen Wald war es leichter voranzukommen als in der Dunkelheit, die zuvor geherrscht hatte, nur leider genoss ihr Verfolger den gleichen Vorteil. Immer wieder blieb sie stehen, unterdrückte den keuchenden Atem und lauschte. Entfernt, aber dennoch deutlich war das Knacken und Rascheln zu vernehmen, kleine Tiere huschten erschreckt über den Waldboden, und jetzt hörte man sogar den schwirrenden Schlag einer Klinge, die das Gezweig zerteilte. Marian wurde es unbehaglich zumute – wenn das Braden war, der sie so zornig und hartnäckig verfolgte, dann würde es vermutlich ziemlich peinlich für sie werden, falls er sie tatsächlich aufstöberte.
Helligkeit schimmerte zwischen den schwarzen Baumstämmen, und sie eilte, wie magisch angezogen, zum Licht hin. Der Wald endete hier, vor ihr lag eine weite, baumlose Fläche, die der Mond mit sanftem, milchigem Schein übergoss. Inseln von Heidekraut schienen silbrig zu glänzen, die kleinen Büschel des
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