Die Gefangene des Highlanders
Wie sie vor ihm gestanden hatte, das rote Lockenhaar zerzaust, ein feindseliges Funkeln in den Augen, den Mund fest zusammengepresst, so dass zwei tiefe Grübchen in ihren Wangen zu sehen waren. Ja, das war Marian, die aufmüpfige, streitsüchtige Göre, die ihn einst zu einem Wettkampf herausgefordert hatte und Zeter und Mordio schrie, weil er sie nicht ernst nahm. Eigentlich hätte er darüber lachen sollen, wie er es damals getan hatte. Doch das Lachen war ihm im Halse steckengeblieben und stattdessen hatte sich Betroffenheit eingestellt. Warum?
Er drehte sich auf die Seite, konnte keinen Schlaf finden und begriff, dass er sich die Wahrheit eingestehen musste, um endlich Ruhe zu haben. Nein, es war nicht die Erinnerung an die kleine Marian von einst gewesen, die ihn dazu getrieben hatte, den Turm in solch lächerlicher Eile zu verlassen. Es war Marian, die junge, berückend schöne Frau, die sich ihm entgegengestellt hatte, weil sie wie eine Löwin um das Leben eines Kindes kämpfte. Ohne Zweifel wäre sie ihm an die Kehle gefahren, falls er die Absicht gehabt hätte, dieses kleine Wesen auch nur anzurühren.
Er musste sich eingestehen, dass diese ganz andere Marian ihn beeindruckt hatte. Sie war ebenso schön und verführerisch wie mutig, und sie kämpfte bedingungslos für das Leben eines Kindes, wie eine Frau es tun sollte. Vielleicht war es das, was er an einer Frau einzig noch schätzen konnte: ihre Fähigkeit, Kinder zu gebären und sie großzuziehen. Alles andere, was er sich einmal zusammengeträumt hatte, der wundervolle Sinnenrausch der Liebe, die süßen Zärtlichkeiten, nach denen er sich sehnte, das Glück, eine Frau zu finden, die sich zu ihm bekannte und ihm treu sein würde – all diese dummen Träume hatten sich als Luftschlösser entpuppt.
Nun ja – Marian würde ganz sicher einmal eine gute Mutter werden. Derjenige, der sie einmal zur Frau bekam, konnte sich glücklich schätzen.
Allerdings nur, wenn er mit ihrer spitzen Zunge und ihrem aufbrausenden Wesen zurechtkommt, dachte er und spürte endlich, wie der Schlaf ihn übermannte.
Es war wie immer. Er stürzte in tiefe Bewusstlosigkeit, die ihn umfing wie die Wände eines dunklen Brunnenschachtes, kühl, schweigsam und ohne Empfindungen. Dann erst, nach einer scheinbaren Ewigkeit, begannen die Träume wieder Besitz von ihm zu ergreifen. Es waren immer die gleichen, er kannte sie aus seinen Fieberphantasien, als er auf dem langen Krankenlager pausenlos vor sich hinredete und sich mit seinen Fieberschimären unterhielt. Später, als er wieder Herr seiner Gedanken war, hatten sie sich heimtückisch in seinen Schlaf geschlichen, nutzten die Willenlosigkeit des Schlummers um ihn zu peinigen.
Bilder von wilden Kämpfen unter sengender Sonne drängten sich ihm entgegen, sterbende Männer, die in den glühenden, roten Sand stürzten, er spürte wieder die schwere, sinnlose Last seines stählernen Panzerhemdes, das ihn verbrennen wollte. Kameraden, die für ein paar Goldstücke zu Mördern wurden, Gefangene, die man zu Tode folterte, um ein paar Worte aus ihnen herauszupressen. Dann das Zelt, mit dunklen Häuten bespannt, kostbare Teppiche und Gefäße im Inneren, kühles Wasser in weiten Schalen, die schmale Mondsichel in Sithas Augen.
Er wehrte sich verzweifelt, um dem Ende des Traums zu entkommen, spürte die weiche, blasse Haut der schönen Sarazenin, tastete über ihr ausgebreitetes Haar, neigte sich über sie und berührte ihre vollen, verlockenden Lippen …
„He, Chief! Wach auf! Willst du die neue Mauer einstürzen?“
Jemand rüttelte ihn fest am Arm, und Braden gelang es, kurz vor dem fatalen Ende seines Traums aufzuwachen. Er keuchte noch, wischte sich den Schweiß von der Stirn und kam sich unter dem verwunderten Blick des Mannes wieder einmal ziemlich lächerlich vor. Offensichtlich hatte er im Schlaf ordentlich gegen die Mauer getreten, denn sein linker Schuh war aufgerissen.
„Träume“, sagte Keith düster. „Kenne ich. Seit die MacArons meinen kleinen Bruder erwischt haben, sehe ich es jede Nacht im Schlaf vor mir. Haben ihm nicht helfen können, Chief, die Feiglinge hatten mich an einen Pfosten gebunden.“
Braden nickte ihm verständnisvoll zu und schlug ihm auf die Schulter, dann blinzelte er und stellte fest, dass es bereits dämmrig war und die Luft außerdem nach Nebel roch. Als er sich erhob, sah er, dass Waldrand und Seeufer bereits unter dem grauen Dunst verschwunden waren. Langsam und stetig bewegten
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